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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Brise aus dem Süden brachte einen Duft nach Zitronen und Jasmin mit. Über den Blüten der Blumen auf dem Hof summten Insekten, aus dem Nichts erschienen Kolibris, und die Schafe weideten jetzt – eine Wohltat – weiter entfernt und nahmen ihren Geruch nach Ammoniak mit. Will beendete die Arbeit am letzten Abschnitt des Wegs, und endlich kam Charlie Curner und brachte Lebensmittel und Briefe, einen ganzen Karton Briefe. Die Säcke voller Wolle wurden im Laderaum seines Schoners verstaut, und dann fuhr die Evangeline , deren Segel vom morgendlichen Sonnenlicht vergoldet wurden und einen langen Schatten über das Wasser warfen, nach Santa Barbara, wo die Abnehmer und das Geld waren und Nichols wartete, bis er den bestmöglichen Preis erzielen und an Spinnereien im ganzen Land liefern konnte. Und das Beste war, dass Adolph ebenfalls zum Festland gefahren war, um die Transaktion zu überwachen, und ihnen seine schlechte Laune erspart blieb, jedenfalls bis er mit dem nächsten Schiff wieder zurückkehrte.
    Die Tage wurden länger. Nachmittags lag die Veranda in der Sonne. Sie trug Edith auf, alle Fenster und Türen zu öffnen, damit der Schimmel trocknete und die frische Luft die Gerüche nach altem Fett und kalter Asche vertrieb, nach getrocknetem Schlamm und Mäusekot und Menschen, die einen langen, feuchten Winter in einem Haus verbracht hatten, das eigentlich gar keines war. Wenn sie die Augen schloss und das Gesicht der Sonne zuwandte, konnte sie sich beinahe vorstellen, sie sei in Italien.
    Leider kam all das zu spät, jedenfalls für sie.
    Sie gab Will nicht die Schuld daran, auch wenn die Krankheit in jener Nacht, als sie sein Bett leer gefunden hatte, mit voller Macht zurückgekehrt war. Die Mikroben schlugen zu, als sie am schwächsten war, als ihr Herz gebrochen und sie selbst am Boden zerstört war, als sie nicht schlafen konnte und im Sessel am Ofen saß und hustete, bis das Haus von dem anschwellenden Gebell widerhallte. Sie gab ihm nicht die Schuld, nicht für die Krankheit jedenfalls – doch was in jener Nacht geschehen war, würde sie ihm niemals verzeihen. Im ersten Morgengrauen schlich er aus Idas Zimmer: Sie hörte das leise Klicken der Türklinke und das kaum wahrnehmbare Ächzen der Scharniere, sie spürte das Beben der Dielen unter seinen schweren Schritten, das sich durch den Flur und den Salon bis zu ihrem Platz fortsetzte, wo sie saß und in den aschgrauen Morgen starrte. Sie wartete, bis er die Tür zu seinem Zimmer geöffnet, sie hinter sich wieder geschlossen und sich, begleitet von einem lauten Knarzen, in sein Bett gelegt hatte. Dann stand sie auf – ihr war schwummrig, ihre Atemzüge waren kurz und rasselnd, und bei jedem Einatmen rauschte es in ihren Ohren – und ging durch den Salon und den Flur zu seiner Tür, doch diesmal zögerte sie nicht.
    Mit einer einzigen Bewegung riss sie die Tür auf, trat ein und schloss sie. Alles war dämmrig grau und undeutlich, und für einen Augenblick glaubte sie zu träumen: Es war nichts geschehen, sie war gesund und schlief, und ihr Mann liebte sie wie sie ihn. Doch dann hob er den Kopf vom Kissen, stützte sich auf die Ellbogen und reckte den Hals, sein Gesicht war ein bleicher Klumpen Fleisch, versehen mit Wills Gesichtszügen, und sie war wieder in der Wirklichkeit. »Du Schwein«, sagte sie. Ihre Stimme war leise und ruhig, es war eine schneidende Stimme, so kalt wie ein Skalpell. »Ehebrecher. Wüstling. Du dachtest, ich wäre Ida, stimmt’s? Ida, die sich noch einmal, für eine letzte Umarmung, zu dir schleicht.«
    Er leugnete nicht. Er sagte nichts, kein Wort.
    »Eine Hausangestellte, Will. Ein Dienstmädchen. Wie konntest du nur so tief sinken? Und Edith ist im Haus. Edith schläft in dem Zimmer über euch, während ihr – « Sie konnte es nicht sagen, sie konnte nicht aussprechen, was sie taten, was sie getan hatten , doch sie konnte es spüren, in ihrem Körper, zwischen ihren Beinen, die sie einst geöffnet hatte, damals, als sie einander noch begehrt hatten.
    Die Bettdecke bewegte sich. Er stieß einen leisen, gestöhnten Fluch aus und ließ den Kopf auf das Kissen sinken. Ihr wurde bewusst, dass er sich nicht verteidigen würde, dass er nicht bitten, beschönigen oder alles abstreiten würde – ja, er würde nicht einmal lügen. Der Gedanke machte sie noch wütender. Wer war er denn? Ein stümperhafter, widerwärtiger, kindischer Abenteurer, dem weder an ihr noch Edith etwas lag, William G. Waters, der König der Insel.
    »Ein

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