San Miguel: Roman (German Edition)
Kind irischer Proleten«, sagte sie, »irischer Säufer.« Und jetzt erhob sie ihre Stimme, bis sie wie das Rascheln dürrer Maisblätter klang, wie das Prasseln von vertrocknetem Röhricht an einem verlassenen Strand. »Ein Mädchen, halb so alt wie du, das wir aufgenommen haben wie unsere eigene Tochter. Und du, du – «
»Pst«, zischte er und fuhr hoch. »Sie kann dich hören.«
»Wer?« wollte sie wissen. »Wer kann mich hören?«
Ein Flüstern: »Ida.«
»Ida? Ida ist schon verdorben. Du hast sie verdorben, Will, du allein. Und mich hast du dabei in den Schmutz gezogen.«
»Dann Edith. Dann eben wegen Edith.«
Und das war der Augenblick, in dem sie die Stimme der Vernunft nicht mehr hörte: dass er es wagte, Edith in diese Sache hineinzuzerren und ihren Namen im selben Atemzug zu nennen wie den dieser ... dieser Schlampe ! Ediths Name war jetzt auf ihren Lippen, und er war wie ein Segen, wie eine lindernde Salbe, doch noch bevor Will aufspringen konnte, um sie mit seinen schwieligen Händen, die wie Klauen ja, wie Klauen, waren, zu packen und zu schütteln, schrie sie ihn.
Diesmal wollte der Blutsturz nicht aufhören. Das Blut schoss aus ihr hervor, während sie sich seinem Griff entwand und in den Flur taumelte. Sie versuchte, es bei sich zu behalten, und schluckte mechanisch, sie schluckte, bis sie glaubte, an ihrem eigenen Blut zu ersticken, doch der Husten schüttelte sie heftiger, als Will es je gekonnt hätte, und mit dem Husten kam das Blut. Es spritzte auf die wellige weiße Wand, auf den Boden, auf ihren Morgenmantel. Es war so hell, es war ihr Herzblut. Und der Husten. Der Husten. Will stand hinter ihr, er murmelte etwas, er flehte, doch sie schüttelte ihn ab, und dann war Edith da, und Marantha presste die Hand vor den Mund, und als sie sie fortnahm, war die Hand rot. Alles verdunkelte sich, die ganze Welt versank und entschwand und kehrte dann wabernd wieder zurück. Marantha stand noch immer auf den Beinen. Wie war das möglich?
Gestützt von Edith, die sie unterfasste, mit winzigen Schritten, die Stufen mit den Füßen ertastend und so atemlos, als würde sie den höchsten Berg erklettern, den es gab, schaffte sie es irgendwie in ihr Zimmer. Die Tür flog auf und schlug an die Wand. Zehn Schritte bis zum Bett, sie ließ sich darauf sinken, aber sie konnte nicht flach liegen. Das Ding in ihr ließ es nicht zu. Kissen, sie brauchte Kissen, um ihren Oberkörper zu stützen, und da waren sie auch schon, steinhart und kalt, und wurden ihr in den Rücken geschoben. Edith rannte mit versteinertem Gesicht los und brachte ein Handtuch, und als das voller Blut war, rannte sie los und brachte ein zweites.
Sie dachte an Poe und seine Geschichte vom Roten Tod, vom Tod, der mit sprudelndem Blut kam, und sie war bereit loszulassen, sie war so schwach, so enttäuscht, so infiziert, so tödlich infiziert, und was für einen Unterschied machte es, wie sie ihr Leben gelebt hatte? Will, Ida. Eisenpillen, frische Luft, Ärzte. James. Edith. Ihre eigene Mutter am anderen Ende des Kontinents. Draußen, vor dem Fenster, war der Tag wie eine geschlossene Faust. Edith saß an ihrem Bett. Sie verlor das Bewusstsein und erlangte es wieder. »Meine Medizin«, bat sie blutend, noch immer blutend. Sie schmeckte Blut, sie schluckte Blut. Das Blut tränkte das Handtuch, bis es an ihrer Kehle hing wie ein gehäutetes Tier. Sie nahm die Flasche aus Ediths Hand, setzte sie an den Mund und trank sie aus, als wäre es Wasser, und dann verlor sie wieder das Bewusstsein und wachte erst auf, als es wieder dunkel war. Edith saß immer noch an ihrem Bett, und das Blut floss nicht mehr.
Und dann spürte sie das Gewicht, einen Stein, so groß wie der größte Fels, den Will mit seinem Dynamit gesprengt hatte – oder nein, größer, viel größer, so groß wie die ganze Insel. Es war die Insel, die Insel erdrückte sie, und sie hatte es die ganze Zeit gewusst, und vielleicht sprach sie es aus, vielleicht schrie sie es heraus, vielleicht schrie sie alles mögliche, fluchte und wütete, und dabei dachte sie: Das also ist der Tod, dieses Gewicht, dieses erdrückende Gewicht , und dann stürzte sie erneut in den tiefen Schacht ihrer Träume.
DAS GRAUSAMSTE
Aber das Grausamste war: Sie starb nicht. Sie war dem Tod nahe gewesen, sie war beinahe gestorben, und als sie an einem Tag, so farblos und gleichförmig wie der, an dem man sie ins Bett gelegt hatte, erwachte, wünschte sie sich, sie wäre tatsächlich gestorben – die Menge
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