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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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eigentlich war. Dennoch ging sie, als das Licht vor den Fenstern erstarb, durch den Raum, entzündete die Lampe und machte Platz auf dem Tisch, um sie abzustellen. Dann kniete sie sich hin und versuchte, auch den Herd anzuzünden, und sei es nur, um die Kälte zu vertreiben, doch der Rauchabzug schien verstopft zu sein, denn jedesmal, wenn sie ein Streichholz an das zerknüllte Papier und die Späne hielt, erstarb die Flamme wieder.
    Sie spürte einen stechenden Schmerz im linken Arm, knapp über dem Ellbogen, wo ihr Stiefvater sie gepackt hatte, um sie in seiner Ungeduld durch die Tür zu schieben, dieser gewalttätige Klotz mit seinem roten Gesicht, der einzige Vater, den sie je gekannt hatte. Er war im Krieg verwundet worden und sorgte dafür, dass niemand es vergaß. Captain. So nannten sie ihn. Nicht Mister, sondern Captain. Und er erwartete von ihr, dass sie ihn Vater nannte, dabei benahm er sich nicht wie ein Vater, sondern wie ein Feigling, ein Schläger, und wenn sie einen Revolver hätte, würde sie ihn sich an den Kopf halten und abdrücken, gleich hier, an Ort und Stelle – oder nein, sie würde ihn erschießen und Jimmie und Adolph ebenfalls und dann die Schafe, jedes einzelne blöde glotzende Schaf. »Koch uns was«, hatte er gesagt. »Aber ich weiß nicht, wie«, hatte sie eingewandt und schließlich doch gesprochen, und sei es nur, um die Worte gesagt zu haben, ganz gleich, wie taub die Welt ringsumher sein mochte. »Dann lern es«, hatte er gesagt.
    Ungeduldig und herrisch hatte er in der Tür gestanden, und sein Gesicht hatte ihr gesagt, was sie eigentlich bereits hätte wissen sollen, als sie an Bord gegangen waren, nein, vorher schon, als Ida gekommen war, um ihr zu sagen, sie gehe fort, weil sie ein Kind bekomme, das niemand haben wolle. Zum Haushalt gehörten drei Männer und ein Mädchen. Oder eine Frau. Mangels Alternativen war sie jetzt die Frau. Und es war ihm egal, ob sie jemals wieder ein Schulgebäude von innen sah. Er brauchte eine Köchin, und die Wahl war auf sie gefallen.
    Aber der Herd ging nicht an, die Vorräte waren nicht sortiert, das Geschirr war nicht abgewaschen und der Boden nicht gefegt. Sie sah sich erbittert um. Es gab kein Wasser. Keine Schürze. Alle Töpfe und Pfannen waren geschwärzt und verkrustet, und womit sollte sie sie reinigen? Wo war die Seife? Wo war ein Spültuch?
    Und kochen? Was sollte sie kochen? Sie hatte noch nie etwas gekocht, nicht einmal ein Ei. Solange sie zurückdenken konnte, hatten sie immer eine Köchin gehabt. Vor Ida war Mrs. Hedges Köchin und zugleich Kinderfrau gewesen, und an ihren freien Tagen hatte ihre Mutter ein paar Kartoffeln gekocht, die sie dann zusammen mit Mrs. Hedges’ kaltem Braten vom Vortag gegessen hatten. Wenn sie hungrig gewesen war, hatte es immer etwas zu essen gegeben, und als sie klein gewesen war, hatte Mrs. Hedges ihr manchmal erlaubt, auf einen Hocker zu steigen und ihr Käsesandwich in der Pfanne mit einem Spatel umzudrehen, damit es gleichmäßig gebräunt wurde. Sie hatte mit ihrer Mutter natürlich auch Plätzchen gebacken, wie alle anderen Mädchen, und als ihre Mutter krank geworden war, hatte sie sich gern in die Küche gesetzt, weil es dort so schön warm war und sie sich so beschützt fühlte, wenn Mrs. Hedges herumfuhrwerkte und der Duft von frischgebackenem Brot oder Maismuffins den Raum erfüllte, und später hatte sie mit Ida geplaudert, während diese Teig ausrollte oder Kartoffeln schälte oder mit einem Becher Reis abmaß, aber nichts davon qualifizierte sie als Köchin oder auch nur als Küchenhilfe. Und Ida war fort. Wie ihre Mutter.
    Sie stand auf und wischte sich die Hände am Mantel ab. Die Späne wollten einfach nicht Feuer fangen: Jedesmal, wenn sie ein zusammengeknülltes Stück Papier entzündete, züngelten blasse Flammen auf, die jedoch erstarben, sobald sie die darübergeschichteten Holzstückchen erreichten, und jetzt wurde diese Sache zu einer Herausforderung, zu einem Kampf zwischen ihr und den Kräften des Universums. Sie war wütend und frustriert, sie fror, sie war einsam und hasserfüllt, aber jetzt benutzte sie ihren Verstand. Der Hebel der Ofenklappe sollte senkrecht stehen, nicht? Ein weiterer Papierball, ein weiteres Streichholz. Nichts. Sie nahm mehr Papier und zog die Holzstückchen weiter auseinander, damit mehr Luft an die Flamme kam, sie blies in die flackernde Flamme, bis sie außer Atem war, und noch immer nichts. Vielleicht war das Kleinholz nicht trocken genug,

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