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San Miguel: Roman (German Edition)

San Miguel: Roman (German Edition)

Titel: San Miguel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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vielleicht hatte es irgendwie die Feuchtigkeit im Haus aufgesogen. Sie räumte die Brennkammer aus, legte die Holzstücke auf den Boden und nahm andere aus der Kiste neben dem Herd – und diese waren trocken, so trocken wie das Papier. Sorgsam schichtete sie die Stücke übereinander, die kleinsten zuunterst.
    Sie hockte vor der offenen Ofenklappe, spitzte die Lippen, fächelte dem geisterhaften Flämmchen Luft zu und blies sanft darauf, bis es zaghaft in die Höhe stieg und dann wieder erlosch. Da wurde plötzlich die Hintertür geöffnet, und Jimmie kam aus der Dunkelheit herein. Sie kniete auf dem Boden, das Haar hing ihr ins Gesicht, Rock und Unterrock waren bereits ganz schmutzig. Finster sah sie ihn an. »Es geht nicht an«, sagte sie.
    »Es geht nicht an?« Er sah sie mit einem Lächeln an, das wie ein Tic war, das kam und wieder verschwand, noch bevor man es recht bemerkt hatte. Seine Arme hingen herab, sein Mund stand offen. Zum erstenmal seit ihrer Ankunft konnte sie einen genaueren Blick auf ihn werfen, und obwohl sie unglücklich war und diesen ganzen Ort und damit auch Jimmie hasste, weil er als der hier wohnende Geist – Caliban – dazugehörte, war sie doch auch neugierig. Er hatte sich verändert in den eineinhalb Jahren, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte. Er schien größer geworden zu sein, breiter in den Schultern, und seine Beine, die, wie sie sich erinnerte, so dünn gewesen waren, dass sie sich gefragt hatte, wie er überhaupt auf ihnen stehen konnte, wirkten muskulöser. Auf der Oberlippe hatte er so etwas wie einen spärlichen Schnurrbart – dunkle Haare, die hier und da sprossen wie Pflanzen in einem vom Frost heimgesuchten Garten. Das Kopfhaar wuchs in den Nacken. Seine Kleider waren fadenscheinig. Jimmie. Er war noch immer Jimmie.
    »Ich versuche es jetzt schon seit zehn Minuten.« Sie stand auf und wischte die Hände am Rock ab. »Ich hab an der Rauchklappe gerüttelt, und ich bin sicher, dass sie offen ist – «
    »Lass mich mal sehen«, sagte er und ging so schnell in die Knie, dass es aussah, als suchte er Deckung. Er stützte sich mit einer Hand auf, schob den Kopf durch die Ofenklappe und spähte nach oben. »Ich seh gar nichts«, sagte er, und seine Stimme hallte im Abzugsrohr wider. Er richtete sich wieder auf, und sie spürte eine gewisse Befriedigung: Er war noch immer kleiner als sie.
    »Könnte es am Ofenrohr liegen? Dass es vielleicht verstopft ist?«
    »Könnte sein«, sagte er und nahm ein Scheit Brennholz aus der Kiste. »Ich weiß es nicht – als Mr. Reed hier war, hab ich für mich in der Baracke gekocht. Wir können’s ja mal versuchen« – und bevor sie die Ofenklappe schließen konnte, schlug er mit dem Scheit gegen das Ofenrohr. Es reagierte mit einem Rumpeln und Poltern, und dann war alles voller Ruß. »Na bitte«, sagte er und nieste dreimal rasch hintereinander. »Jetzt müsste es funktionieren. Probier’s noch mal.«
    Sie wartete einen Augenblick, bis sich der Ruß gesetzt hatte, beugte sich hinunter und hielt ein brennendes Streichholz an die Späne. Diesmal erlosch die Flamme nicht, und sie legte immer dickere Holzstücke auf das Feuer, das knisternd und knackend Wärme verströmte. »Danke«, sagte sie. »Das hätte mir auch selbst einfallen können.«
    Beide schwiegen. Sie wärmte ihre Hände am Feuer, und er stellte sich neben sie und streckte ebenfalls die Hände über den Herd. »Hallo«, sagte er.
    »Hallo? Was meinst du mit ›hallo‹?«
    »Na ja, wir haben uns ja noch nicht ... Ich hab dich natürlich am Strand gesehen, als ihr angekommen seid, aber ich hatte noch keine Gelegenheit ... Ich meine, wir haben uns lange nicht gesehen, und ich wollte bloß hallo sagen. Nach so langer Zeit. Wie geht’s dir? Geht’s dir gut?«
    »Mir ging es gut«, sagte sie, »bis ich wieder hierhergekommen bin.«
    »Du siehst schön aus.«
    Sie hörte ihn wie aus weiter Ferne, als wäre sie im Speisesaal der Schule und seine Stimme dränge über das Meer und die Hausdächer hinweg an ihr Ohr, und sie verachtete ihn, ja, doch sie überlegte bereits, was er wohl für sie tun würde und wie sie ihn benutzen und als Verbündeten in dem Krieg einsetzen könnte, der bereits begonnen hatte, ob sie nun darauf vorbereitet war oder nicht. Sie sah ihn an. Ihre Stimme wurde weich. »Hallo«, sagte sie. Und dann: »Nett, dich wiederzusehen.«

FRIEDHOF DES PAZIFIKS
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