Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Drahtflechters erreichte. Um diese Zeit war dort nicht mehr viel los, worauf er gehofft hatte. Miraval beobachtete schon von weitem, wie Jeanbernat, ein kleiner Mann mit wettergegerbtem Gesicht und dichten schwarzen Brauen, mit einer Zange Ring an Ring fügte, um eine Kettenhaube zu fertigen. An der Rückwand seines Standes hingen fein säuberlich aufgereiht Hauben und Kettenhemden.
Dann trat er näher.
Als Miravals Schatten auf ihn fiel, grüßte Jeanbernat, sah aber nicht auf. „Ihr wünscht, Sénher?“
„Damian schickt mich“, antwortete der Troubadour leise, worauf der Drahtflechter ganz langsam die Zange beiseite legte. Endlich blickte hoch. „Kenne ich nicht. Wer soll das sein?“
Miraval hob den Arm und deutete ungefähr die Größe an, die der Junge derzeit hatte.
„Solche gibt`s viele“, meinte Jeanbernat uninteressiert und griff wieder zur Zange. Ring um Ring wuchs das eiserne Geflecht.
Miraval beugte sich über den Schragentisch, nahm zwei Drahtreife mit aufgefädelten Ringen in die Hand, wog sie gegeneinander auf. „Aber nicht mehr auf Dérouca, wo auch eine Frau namens Gesine gearbeitet hat!“
Es dauerte erneut eine Weile, bis Jeanbernat reagierte. „Kommt bei Anbruch der Dunkelheit in die Taverne zur Fortuna, aber allein, klopft dort dreimal an den Laden des mittleren Fensters“, sagte er leise. „Die Losung heißt Ombra !“
Mit diesen Worten stand er auf, räumte das Eisen beiseite, ließ mit einem Ruck das schwere Tuch herab und schloss seinen Stand.
Die „Fortuna“ stellte sich als ein windschiefes, weit in die Gasse hineinkragendes Fachwerkhaus in der Nähe des Berard-Turms heraus, und dort wurde er offenbar bereits erwartet. Ein Mann, von dem er annahm, dass es sich um Brazo handelte, denn er hatte ähnlich dichte, schwarze Brauen wie Jeanbernat, zog ihn, kaum dass er das Losungswort preisgegeben hatte, hinters Haus und stieß ihn in einen Stall, in dem zwei aneinandergebundene struppigbraune Esel standen. Hinter den Tieren wartete Jeanbernat. Brazo stellte die Laterne auf den Boden. Die Brüder warfen sich einen Blick zu. Dann packten sie Miraval, fesselten und knebelten ihn. Wortlos durchsuchten sie seine Taschen. Miravals Angst hielt sich in Grenzen. Er hätte an ihrer Stelle nicht anders gehandelt: Vorsicht war besser als Nachsicht. Deshalb hatte er auch nur ein paar Livre bei sich. Sie steckten das Geld sogar zurück, nahmen jedoch Balthus` Empfehlungsschreiben mit dem Toulouser Siegel an sich. Offenbar konnten sie nicht lesen. Miraval versuchte, Ihnen den Inhalt zu erklären, was der Knebel aber nicht zuließ. Blieb zu hoffen, dass sie das Schreiben keinem zeigten, der auf Montforts Seite stand.
„Warte hier auf uns“, sagte Brazo und verließ mit dem Bruder den Stall. Ein Riegel wurde vorgeschoben.
Miraval nickte ergeben. Er setzte sich ins Stroh, das feucht war und nach Eselspisse roch.
13.
Als Pilger verkleidet brachen sie im Mai nach Gellone auf. Inzwischen blühte die Garrigue, und es duftete überall nach Ginster und wilden Kräutern. Wie von der Kastellanin beschrieben, stießen sie bald auf die markante „Teufelsbrücke“, hinter der sich das öde Tal von Gellone auftat. Nahezu verwachsen mit dem Stein, thronte das gesuchte Kloster auf einem Felsplateau.
Vor ihnen stiegen in einer langen Reihe Pilger auf, singend und betend: „ Crucifixus etiam pro nobis sub Pontio Pilato ... “ Die meisten waren zu Fuß unterwegs, Blinde wurden geführt, Gelähmte auf Brettern getragen, besonders Bußfertige krochen auf allen Vieren.
Es war sehr warm. In der Luft Geflimmer und Gegleiß. Zerrissenes Gewölk am Himmel und ein launischer Wind, der auch hier fortwährend jenen bittersüßen Ginsterduft aufwirbelte, der ihnen seit Tagen in der Nase stach.
Unter einem blühenden Maulbeerbaum, dessen ausladende Krone Schatten für alle bot, machten sie Rast. Erschöpft lehnte sich Sancha mit dem Rücken an den Stamm, während über ihr der Wind durch die Blätter rauschte. Gala und die Knappen packten Brot und Käse aus.
Als Hagelstein den Zobelhut abnahm, auf dem sein Pilgerzeichen prangte, flatterte eine Ringeltaube heran und nahm auf seiner Schulter Platz. Doch weil alle lachten, flog sie weiter.
Sancha sah es als gutes Omen an. Ein bisschen wehmütig dachte sie, wie schön es gewesen wäre, wenn Falk und Miraval Freunde geworden wären. Aber vielleicht gab es keine Freundschaften zu dritt.
„Und was ist mit der heiligen Reliquie, Herrin?“, bohrte Gala weiter,
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