Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
nachdem ihr Sancha unterwegs vom Kloster erzählt hatte. Mit erwartungsvoll glänzenden Augen sah die Kleine sie an. Ihre Wangen waren von der Sonne gerötet.
„Nun, es handelt sich um ein Stück Holz vom Heiligen Kreuz, das Helena, die Mutter des römischen Kaisers Konstantin, wiederaufgefunden hat. Lasst uns am Abend vor diesem Schrein für die Befreiung von Toulouse beten.“
Kurz darauf, als sie sich wieder in den Pilgerzug eingereiht hatten, vernahm Sancha, wie Olivier Damian zuraunte, dass er auf die „verdammten Reliquien“ sehr gut verzichten könne. Man brauche sie nicht zum Beten. Sie fuhr herum, um ihn zu maßregeln, doch Hagelstein kam ihr zuvor: „Viele Wege führen zum Ziel, Termes“, fuhr er ihn an, „doch wer wie du ständig gegen den Wind pisst, mag irgendwann nasse Hosen bekommen!“
Der Blick, mit dem Olivier daraufhin Falk maß, ließ Streit erwarten. Auch Petronilla hob mit einem Mal besorgt die Brauen.
Ein Aufstöhnen ging durch die Pilgerschar, als die Abendsonne das Klosterportal und die dahinter liegende mächtige Chorapsis in ein warmes, ziegelrotes Licht tauchte. Fast alle fielen auf ihre Knie, um Gott zu danken, obwohl sie noch nicht am Ziel waren.
Es dämmerte schon, als sie endlich durch den Eingang traten.
„Sucht Ihr Gott?“, fragte sie der Pförtner, ein älterer Mönch mit ausgemergeltem Gesicht.
„Ja, wir suchen Gott“, antwortete die Gräfin vorschriftsmäßig, „und wir kommen nicht mit leeren Händen.“ Sie nahm ihn zur Seite und gab sich zu erkennen. „Neben der Suche nach Gott ist unser weiteres Anliegen ein Besuch bei Doña Agnès, der ehemaligen Herrin von Montpellier. Mein Page ist sein Enkel.“ Sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als einer der Mönche, der ihnen zuvor nicht den geringsten höflichen Gruß entboten hatte, in auffälliger Eile durch eine Seitentür den Einlass verließ.
Der alte Pförtner nahm dankbar den Beutel entgegen, den Sancha ihm zusteckte und versprach ihr, den Ehrwürdigen Abt von ihrem Wunsch zu unterrichten. „So tretet ein, Gräfin“, sagte er demütig, und heftete ihr, und danach auch ihren Begleitern, mit eigener Hand das eiserne Pilgerzeichen von Gellone ans Gewand. „Unsere Gäste werden wie Christus aufgenommen, denn ER wird einst sprechen: Ich war fremd, und ihr habt mich beherbergt .“
Überall im Innenhof des Klosters waren Teerfackeln aufgesteckt, als sich Sancha, Damian, Abt Pierre und ein Novize nach der Heiligen Messe auf den Weg zu den Unterkünften der Stiftsdamen machten. Der Abt von Gellone hatte es sich nicht nehmen lassen, die Gräfin und Damian zu begleiten.
„Leider ist Doña Agnès derzeit nicht recht wohlauf“, erklärte er ihnen unterwegs. „Das Alter und die Aufregung in der letzten Woche ...“
Sancha verhielt den Schritt. „Aufregung? Weswegen denn?“
Pierre, zwei Köpfe kleiner als Sancha, blieb ebenfalls stehen und sah sie erstaunt an. „Es kann Euch doch nicht entgangen sein, dass der Bischof Eurer Stadt hier war, Gräfin?“, sagte er fast vorwurfsvoll.
„Bischof Fulco? Aber was hatte er hier zu suchen?“
Der Abt schien sich über ihren gereizten Tonfall zu ärgern. „Ich vertrete im Kloster die Stelle Christi, Gräfin. Hätte ich meinem Bruder den Besuch bei einer Stiftsdame verwehren sollen?“
„Verzeiht, Ehrwürdiger Vater“, Sancha bemühte sich sehr, ihrer Stimme die streitbare Spitze zu nehmen, „aber vielleicht ist es Euch entgangen, dass die Grafschaft Toulouse derzeit im argen Streit mit Bischof Fulco liegt?“
Der Abt neigte das Haupt. „Freilich, das ist mir bekannt. Doch gilt nicht für beide Seiten das Wort des HERRN: Du siehst im Auge deines Bruders den Splitter, in deinem hast du den Balken nicht bemerkt ?“
„In Ewigkeit steht Sein Wort fest in den Himmeln“, antwortete Sancha ungerührt, „Bischof Fulco geht es jedoch um höchst weltliche Dinge.“ Mit diesen Worten und ohne ihren Vorwurf näher zu erklären, fasste sie Damian bei den Schultern und lenkte ihn nach rechts, denn der Abt wies auf ein kleines Haus, vor dem zwei hohe Zypressen standen. Er befahl dem Novizen, die Gäste zu melden und zog sich mit einer Entschuldigung zurück, was Sancha nicht unrecht war.
Der Novize klopfte. Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit. Er steckte den Kopf hinein und flüsterte mit einer dunkel gekleideten Person. Dann rief er Sancha und Damian herein.
Sie betraten eine karge Kammer, die jenen sauberen Zellen glich, die Sancha von anderen
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