Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Klöstern her kannte, in denen sie auf ihren Reisen übernachtet hatte. Ein Spannbett, eine einfache Truhe aus Tannenholz, ein Tisch, eine Bank, ein Betpult mit brennender Kerze darauf, ein silbernes Kruzifix.
Der Novize stellte ihnen Honoria von Enriquez vor, Do ñ a Agnès` langjährige Dame und Vertraute. Die ältere, schmalbrüstige Frau hatte sich offenbar in aller Eile ihre Mantille aus weißer Spitze aufgesetzt, denn sie saß schief auf ihrem Kopf. Sie küsste Sancha die Hand, nahm die brennende Talgkerze auf und bat den „hohen Besuch“, wie sie sagte, ihr zu folgen. Sachte klopfte sie an die Tür einer weiteren Kammer.
Als sie vorsichtig die Tür öffnete, drang strenger Kampfer- und Essiggeruch heraus.
„Doña Agnès leidet seit Jahren unter Blavores - großen schwarz-blauen Flecken“, wisperte Honoria. „Zuerst befanden sie sich nur an den Beinen, jetzt aber ...“
Sie traten ein. Die Dame stellte die Kerze aufs Betpult, das neben dem Bett der alten Dame stand.
Das Licht fiel auf eine hagere Frau, der man jedoch ihre frühere Schönheit noch immer ansah. Schwarze Augen und, eingebettet in ein Oval strahlenförmiger Falten, ein schmaler, feingezeichneter Mund.
Sofort musste Sancha an Marie denken. Das also war die verhasste Stiefmutter. Nun, im Stillen gab sie der Schwägerin recht: Reine Herzensgüte konnte man von Doña Agnès wohl nicht erwarten.
Damian trat ans Bett, fasste nach der knochigen, weißen Hand, die kostbare Ringe zierten, küsste sie. „Ich bin Euer Enkel Damian“, sagte er höflich. „Wie geht es Euch?“
Doch Agnès reagierte nicht, selbst als er seine Worte wiederholte. Sie sah an Damian vorbei. Hilflos blickte der Junge auf Honoria, die sich aufrichtig bemühte, zu ihrer Herrin durchzudringen.
Irgendwann begannen Agnès` Augen tatsächlich von einem zum anderen zu springen, doch was sie von sich gab, war wirr.
Honoria versuchte, sie zu beruhigen. Sie streichelte ihre Hand und redete mit deutlicher Sprache auf sie ein: „Doña Agnès! Damian ist hier. Euer Enkel. Er ist jetzt Knappe beim jungen Grafen von Toulouse; auch die Gräfin ist da. Sancha von Toulouse. Welch hohe Ehre, Doña Agnès!“
Alle erschraken, als die Greisin mit einem Mal aufheulte. „Bartomeu, du Schwein!“, schrie sie und riss sich die Haube vom Kopf. Eine Fülle silbernen Haares kam zum Vorschein.
Damians Herz jagte. Bartomeu? Schwein? Hatte sie seinen Vater gemeint?
„Scht, scht“, hörte er Honoria neben sich zischen, und hinter ihm hüstelte angespannt die Gräfin.
Mit einem Mal bäumte sich seine Großmutter auf und griff nach ihm. „Meine Perle!“, rief sie und schüttelte derb seinen Arm. „Wo ist meine graue Perle? Wilheeelm!“ Speichel floss ihr aus dem Mund, benetzte das Kinn, den faltigen Hals.
Honoria befreite Damian von der harten Hand. Sie zog ein Mundtuch unter dem Kissen hervor und säuberte die alte Dame. „Aber Ihr wisst es doch, Herrin“, wirkte sie beruhigend auf sie ein. „Eure Perle hat Eure Tochter Alix in Verwahrung.“
„Ich will sie wiederhaben. Sie ist von meinem Gemahl. Von Wilheeelm!“, schrie sie laut und eigensinnig, dann murmelte sie wieder wie wirr: „Das Königreich des Vaters ist mit einem Kaufmann zu vergleichen, der Frachtgut hatte und eine Perle fand.“ Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen und rief abermals nach ihrem Gemahl.“
Damian fühlte eine leichte Übelkeit in sich aufsteigen, wie immer wenn er sich hilflos glaubte. Die Perle, von der die Großmutter sprach, war derzeit so verloren wie das Goldene Rad - und der Verstand seiner Großmutter. Dabei hatte er sich unterwegs ausgemalt, ihr ein geheimes Zeichen zu geben, damit sie ihn aufforderte, unter vier Augen mit ihr zu sprechen. Aber nun? Die Ärmste war am Ende. Das Trauergeläut würde nicht lange auf sich warten lassen!
Agnès, als ob sie in seinen Kopf gesehen hätte, rief noch mehrmals nach ihrem Gemahl, verdrehte die Augen, dass man das Weiße sah, und begann mit langen, tiefen Zügen zu atmen. Laut und hungrig sog sie die Luft in ihre Lungen. Es hörte sich so schrecklich an, dass Honoria hinauslief und dem Novizen auftrug, den Beichtvater zu rufen.
Damian, wie gebannt, wagte kaum zu atmen, auch weil ihm so übel war. Starb sie schon jetzt? In dieser Stunde? In seinem Beisein? Er hatte ihr doch noch gar keine Fragen gestellt!
Da fasste ihn die Gräfin sanft bei der Schulter. „Lass uns morgen wiederkommen“, sagte sie und schob ihn abermals vor sich her, dieses
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