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Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)

Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)

Titel: Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Luise Köppel
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unversehrten Daumen über die scharfe Klinge. Doch dann schüttelte er den Kopf. Zu gefährlich! Nicht zwei auf einen Streich.
    Aber irgendetwas musste er tun! Eile tat not. Er war ein guter Schwimmer. In den Gorges-von-Termes, bei den Kaskaden, hatte er es gelernt. Olivier steckte sorgfältig das Messer zurück, schöpfte Luft, schnellte auf, machte einen Satz und gleich danach einen zweiten - und sprang dann wie eine Forelle an der Rute über Bord.
    Das Wasser war eiskalt und er musste hart gegen die Strömung ankämpfen, auch weil ihn seine Kleidung behinderte. Er hörte das Geschrei hinter sich nicht. Er schwamm um sein Leben.
    Doch je näher Olivier ans Ufer kam, desto stärker breitete sich eine Art Glücksgefühl in ihm aus. Er zog sich an einer Weidenrute aus dem Wasser, fühlte sich mächtig und frei, ballte die hoch erhobene Hand und schrie zum Boot hinüber: „Rache für Toulouse!“
    Sein Übermut bekam indes einen Dämpfer, als er feststellte, dass er sich auf der falschen Uferseite befand. Und der verdammte Kahn kam näher und näher. Olivier ging in die Hocke, überlegte fieberhaft. Wegrennen? Wohin? Das Land war hier flach wie ein Brett, soweit er es im schwachen Mondlicht überblicken konnte. Besser also, er versteckte sich an Ort und Stelle und wartete, bis die beiden mit ihrem Boot verschwanden. Schließlich gab es hier überall überhängende Weiden, Schilf, Rohr und Binsen.
    Auf allen Vieren, den Kahn jedoch im Auge behaltend, kroch er am Ufersaum entlang.
    Er hatte die Hoffnung auf ein gutes Versteck schon fast aufgegeben, als er es entdeckte. Das Flussbett, das an dieser Stelle offenbar stark mäanderte, hatte ein mit Kiefern bewachsenes Stück Uferdamm unterspült. Vom Fluss aus war die kleine Höhle durch das vor ihr liegende Schilf geschützt, vom Ufer aus zusätzlich durch ein dichtes Gestrüpp von Sumpfgeißkraut. Wenn er sich in diese Mulde schob, befand sich sein Körper fast vollständig unter Wasser und er würde dennoch atmen können.
    Gesagt, getan ... Er nahm vorsorglich das Messer aus dem Stiefel und ließ sich geschmeidig zurück in den Fluss gleiten. Mit den Füßen tastete er nach einem Halt und schob sich, als er ihn gefunden hatte, auf dem Rücken in die ausgespülte Mulde hinein. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass er auf diese Weise recht angenehm liegen konnte und dass seine Nase, wenn er den Kopf reckte, tatsächlich aus dem Wasser ragte. Nur ein einziges Mal dachte er an die Blutegel, die Damian seinerzeit fast aufgefressen hatten. Je nun, sie liebten wohl die Klugen, die Anständigen, diejenigen, die kein Jota vom eingeschlagenen Weg abwichen - nicht ihn, Olivier, den Faidit.
    Es dauerte nicht lange und er hörte den Kahn näher kommen. Die Ruderblätter patschten wieder. Doch mit einem Mal trat Stille ein. Hatten sie angehalten? Olivier, das Messer griffbereit, hob ein Stück den Kopf, lauschte. Der Kahn knarzte wie die alte Kapellentür von Montpellier.
    Plötzlich Stimmen: „Kannst du ihn sehen? Er muss hier in der Nähe sein. Weggelaufen ist er nicht.“
    „Ich spring raus, durchsuche das Ufergestrüpp und du ruderst derweil durch die Binsen!“
    Ein Aufklatschen war das letzte, was Olivier vernahm, als er den Kopf zurück ins Wasser legte. Doch im nächsten Augenblick schwappte ihm der Fluss in die Nase. Er musste schlucken, würgen, husten. Er gierte nach Luft. Hätte nicht zeitgleich der Ruderer begonnen, den Riemen mit aller Kraft auf die Binsen zu schlagen, wäre er wohl entdeckt worden.
    Dafür kam jetzt Welle auf Welle. Doch Olivier lernte schnell, sich dem Rhythmus anzupassen. Er hoffte nur, dass die Suche nach ihm nicht die ganze Nacht andauerte. Endlich hörte er wieder Stimmen:
    „Nichts!“, rief derjenige ungeduldig, der sich am Ufersaum befand. „Ich habe jeden einzelnen Strauch abgesucht. Verfluchte Scheiße! Der Bischof macht uns einen Kopf kürzer, wenn wir ihm den Jungen nicht bringen!“
    „Halt`s Maul!“, knurrte ihn der andere an, „und komm zurück in den Kahn. Ich hab dir gleich gesagt, es war ein Tier, das sich am Ufer bewegt hat. Der Bengel hat sich längst davongemacht. Der ist doch nicht blöd.“
    „Ein Tier? Hä? Was soll denn das für ein Tier gewesen sein, das in der Größe einem Menschen gleichkommt? Ein Bär vielleicht? Lachhaft!“
    Der Mann sprang tatsächlich zurück ins Boot, und dieses Mal gelang es Olivier rechtzeitig, die Luft anzuhalten. Als die Wellen wieder ebenmäßig rollten, hob er erneut den Kopf.

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