Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Roucy, die ihm den Sieg bereitet hatten, ritt er, als sich die Nacht näherte, noch einmal aufs Schlachtfeld hinaus, um dem gefallenen König die ritterliche Ehre zu erweisen. Auch das geziemte sich für einen Feldherrn.
Der Krieg schreit nach Leichen: Ein beißender Beinhausgeruch erschwerte Montfort und seinen Rittern die Suche nach dem König. Mückenschwärme wogten wie ein vom Wind getragenes Bahrtuch über dem Meer von namenlosen Toten. Auf den Rümpfen, den abgetrennten Gliedmaßen, den steingrauen, grotesk verzerrten Gesichtern, aber vor allem im Gewirr unzähliger Darmschlingen saßen bereits die Geier. Die Schnäbel und Brüste blutverschmiert, bedachten sie die Störenfriede mit boshaften Blicken.
Pedro von Aragón lag noch immer in jener Ackerfurche in der Nähe eines Dornbuschs, wo ihn der Tod ereilt hatte. Sein Schädel war gespalten, sein Gesicht jedoch unversehrt. Der kurze blauschwarz schimmernde Bart stand in eigentümlichem Kontrast zu seinen schönen Lippen, die eine violette Färbung angenommen hatten. Pedro war nackt. Simon von Montfort hatte seinen Ruf entblößt – die Soldaten seinen Leib.
Ohne anzuklopfen und ohne das obligatorische Birett auf dem Kopf stürmte Meister Balthus in Leonoras Gemach, wo sich die adligen Frauen und Pastor Sola versammelt hatten, um miteinander zu beten. Nach Leonoras Weigerung, Raymond zu verlassen, waren Sancha und die anderen ebenfalls in Toulouse geblieben.
„Gott möge uns beistehen!“, rief der Kämmerer, wachsweiß im Gesicht. „Es hat sich Schlimmes ereignet. Der König von Aragón ist tot, ist geschlagen! Und viele andere Barone ebenfalls. Niemals haben wir einen solch großen Verlust erlitten!“
Leonora schwankte. „Und mein Gemahl?“, stieß sie hervor - dann fiel sie in die Arme ihrer Damen.
Gemeinsam schleppten sie die Gräfin auf ihr Bett, riefen die Ohnmächtige an, bespritzten sie mit Wasser, klatschten ihr auf die Wangen - doch sie wollte nicht zu sich kommen.
Sancha starrte hingegen auf Pastor Sola, wie er sich vor dem Betpult auf die Knie warf und mit brüchiger Stimme das Placebo domino anstimmte. Sie vernahm die Worte, doch sie verstand sie nicht. Etwas Bedrohliches schnürte ihr den Hals zu.
Die älteren Hofdamen gesellten sich zu Sola und fielen in den Klagegesang ein: „ Convertere anima mea in requiem tuam ..."
Mit beiden Händen umfasste Sancha ihren Hals, denn sie glaubte, ersticken zu müssen.
" ... quia dominus benefecit tibi ...“
Pedro ist tot, Pedro ist tot , geiferte eine Stimme in ihrem Kopf. Geiferte und geiferte. Log und log.
„ ... oculus meos a lacrimis, pedes meos a lapsu. “
„Nein!“, schrie Sancha entsetzt auf, „seid alle still! Ich will das nicht. Ich will das nicht ..."
Sie wollte nur eines: hören, dass es sich um einen Irrtum handelte! Es konnte doch nicht sein, dass der Bruder sein Prunkschiff bestiegen und ohne Gruß davongesegelt war? Nicht Pedro, der Starke, der Held, nicht Pedro, der über alles Geliebte! Ich bin zwar ein armer Hund, aber ich bin durchaus zum König geboren , hatte er in Zaragoza zu ihr gesagt, mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ein armer Hund ... Sancha bäumte sich auf vor Schmerz, als der Druck in ihrem Inneren barst. Sie klammerte sich ans offenstehende Fenster, zerfetzte mit ihren Fingernägeln das dünne Pergament, riss leidiges Rankenwerk vom Rahmen, lehnte sich gefährlich weit hinaus, um ihren Schmerz in die Gärten zu schreien - bis Miraval hinter sie trat, sie um ihre Mitte fasste und zurückzog.
„Scht ...“ sagte er zu ihr, als er sie in seine Arme nahm, und noch einmal „Scht …
„Bring mich ... auf mein Gemach“, war die kaum zu verstehende Antwort.
Miraval nickte.
Mit Galas Hilfe schleppte er sie durch die Gänge. Doch als sie in ihrer Kemenate ankam, brach die grausame Wunde erneut auf. Laut weinend fiel Sancha in seine Arme.
Miraval schickte Gala hinaus, ließ Sancha toben, bis sie müde wurde. Dann zog er ihr das Surcot aus, bettete sie auf ihr Lager und deckte sie fürsorglich zu. „Soll ich Hagelstein rufen, damit er dir einen Mohntrunk bereitet?“
„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Die Verwundeten brauchen Falk, nicht ich. Aber du bleib hier, halt mich fest“, bat sie unter Tränen, „geh nicht fort! Wer weiß, welche Nachrichten uns noch erreichen!“
Miraval erfüllte ihr den Wunsch. Er legte sich zu ihr, nahm sie abermals in seine Arme, wo sie bald darauf erschöpft einschlief.
Irgendwann – es dämmerte
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