Sanctus Satanas - Das 5. Gebot: Thriller (German Edition)
hier.
Deswegen war sie gestern mit dem Zug hierhin gefahren.
Bist du verrückt?
Sie war wieder daheim in Heiligenbrück, einem Kaff mit
weniger als hundertfünfzig Einwohnern an der deutschen Ostsee, nach siebzehn
Jahren, und der Gedanke ließ sie frösteln.
»Lena, du hast geschrien, als wäre der leibhaftige
Deibel hinter dir her.«
Magda, die jüngere Schwester ihrer Mutter, auf deren
Bauernhof sie übernachtet hatte, trat durch die Tür rechts neben ihrem Bett,
die Augen vom Schlaf angeschwollen und das kurze graue Haar vom Druck des
Kopfkissens, auf dem sie gelegen hatte, ans Gesicht gepappt.
»Es war nichts, Magda. Nur ein Albtraum.«
Lena spürte die Matratze einsacken, als Magda sich
neben ihr auf das Bett setzte. Magdas weißes Nachthemd war mit rosa Blumen
bestickt. »Ich freu mich, dass du da bist, Kind.«
Lena lächelte. »Kind?«
»Naja.« Magdas Blick hatte etwas Verlegenes. »Ich hab
dich eben noch so in Erinnerung. Fünfzehn warst du damals, ja? Warte mal, dann
musst du jetzt zweiunddreißig sein.«
»Was ist damals hier geschehen, Magda? Mit mir, meine
ich.«
»Na, du bist mit dem Fahrrad gestürzt. Aber …«
»Ja, ich weiß, Magda. Schwere Kopfverletzungen,
Hirnblutung, fünf Monate Koma. Es hat Jahre gedauert, bis ich wieder richtig
laufen und sprechen konnte.«
»Deshalb sind deine Eltern mit dir nach Berlin gezogen.
Bessere Behandlungsmöglichkeiten.«
»Aber was ist damals noch geschehen, Magda? Ich habe
Mama das auch gefragt, ein paar Wochen, bevor sie gestorben ist. Sie hat nicht
geantwortet.«
»Weil es nichts zu sagen gibt, Lena.«
»Habe ich jemals ein Kreuz besessen, auf dessen
Schnittpunkt eine Rose abgebildet war, ein goldenes Schmuckstück?«
Magda zuckte mit den Schultern. »Nicht, dass ich
wüsste.« Sie stand auf. »Ich mache uns jetzt ein leckeres Frühstück. Steh auf.«
Lena ging zum Fenster und öffnete es weit. Der Morgen
war herrlich, die Luft geschwängert von dem Duft der salzigen Ostsee, leider
ein wenig gepaart mit dem fauligen Gestank moderiger Algen, das Wogen der
Wellen, ein ewiges Rauschen, das jedes andere Geräusch verblassen ließ.
9
Nur
ein paar Quadratmeter, so groß war die dunkle Gefängniszelle in der
Strafanstalt Berlin-Moabit.
Davids Kehlkopf schmerzte, seine Lunge schien zu
brennen, Panik raste durch seinen Körper.
Luft! Er war
kurz vor dem Ersticken. Die heiße muskulöse Hand an seinem Hals drohte, seinen
Kehlkopf zu zerquetschen.
»Lass mich los, Buddy.«
David hatte keine Ahnung, wie er aus seiner gequälten
Kehle noch Worte pressen konnte.
Die lange Narbe in Buddys Gesicht, die sich von dessen
Wange über den kahlgeschorenen Kopf zog, schien ihn anzuspringen.
Buddy, sein Mitgefangener, viel älter, viel größer als
er, ein Muskelpaket, genau, wie man sich einen Schläger vorstellt; Buddy, der
Davids Kehlkopf jetzt plötzlich losließ, der David mit dem Rücken gegen die
Zellenwand schleuderte, ihn gewaltsam herumdrehte, sodass er mit der Stirn
gegen die Wand schlug; Buddy, der ihm die Hose herunterzog; Buddys heißer Atem
in seinem Nacken, der schmerzhafte Druck von hinten.
»Hör auf, Buddy! Verdammt, was soll das? Hör auf! Ich
dachte, wir wären Freunde.«
»Dachtest du, du Weichei. Halt bloß die Klappe. Wenn
du rumschreist, bist du tot.«
Der Schmerz, als Buddy sein Glied in Davids After
stieß, war unerträglich.
Der Gefängnisalarm ertönte. Irgendjemand hatte etwas
gehört. Fluchend ließ Buddy von David ab.
Der quakende Ton des Alarms hallte noch heute in
Davids Kopf wider, ebenso wie die schnellen Schritte der Wärter im Flur.
Das alles hatte ihn noch tiefer in die Gefängnishölle
gezogen, die jenes dunkle Feuer in ihm entfacht hatte. Die Depression ließ ihn
nicht mehr los.
In den ersten Jahren hatte er sich noch dagegen
gewehrt. Doch seit der Vergewaltigung war er leer, empfand nicht einmal mehr
Rachegelüste gegenüber denen, die sein Leben zerstört hatten, die ihn in den
Knast gesperrt hatten, weggesperrt wie eine Ratte, wie ein wildes Tier,
verraten und verkauft.
Wozu auch? Es war ja doch alles egal. Nur die
Erinnerung an jenes zarte, hübsche Gesicht von dem Tag seiner Verhaftung war
unauslöschlich, das Zentrum seines Hasses, die Reinkarnation des Teufels, zu
dem er es hochstilisiert hatte, der gefährliche Funke, der in ihm glühte, der
irgendwann entflammen würde: Ich komme wieder. Und ich finde dich.
Nach der Vergewaltigung hatte man ihn in einen anderen
Trakt verlegt. Doch seit jenem Tag
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