Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
Vom Netzwerk:
Jackett ertönte – heute in Holzkohlegrau, aber mit Nadelstreifen; sie betrachtete Nadelstreifen als ihr Markenzeichen.
    Eigentlich hätte Miriam ihr Handy ausschalten sollen, doch es gab einfach viel zu viele Interviewanfragen, und sie wollte verdammt sein, wenn sie sich die Show von jemand anderem stehlen ließ. Sie griff in die Tasche, um den Anruf anzunehmen, drückte dabei jedoch den falschen Knopf und wies den Anrufer stattdessen ab. Sie schaute sich um. Hatte das jemand gesehen?
    Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Getränkeautomaten und zog sich eine Flasche Eistee. Miriam trank durstig. Seit der Mönch gestern zu Tode gestürzt war, hatte sie fast ununterbrochen im heißen Scheinwerferlicht gestanden. Nicht dass ihr das etwas ausgemacht hätte. Das war ein Gottesgeschenk, eine wunderbare Gelegenheit, ihr neues Buch zu promoten. Schon früh hatte sie gelernt, all ihre Antworten mit einem ihrer Buchtitel zu verquicken. Auf die Art konnten die Produzenten die Schleichwerbung nicht herausschneiden.
    Wieder ertönte die ›Ode an die Freude‹, und Miriam drückte sofort auf ›Anruf annehmen‹.
    »Hi. Dr. Anata?« Die Stimme gehörte einer Frau, einer Amerikanerin, glaubte Miriam, oder vielleicht auch einer Kanadierin – sie konnte das noch nie unterscheiden. Aber wie auch immer, das war ein Riesenmarkt für Bücher.
    »Höchstpersönlich«, antwortete sie.
    »Großartig«, fuhr die Frau fort. »Hören Sie ... Ich weiß, dass Sie viel zu tun haben, aber ich könnte Ihre Hilfe im Augenblick wirklich gut gebrauchen. Ich benötige Hintergrundinformationen.«
    »Ist das eine Interviewanfrage?«
    »Äh ... Ja, so könnte man das nennen.«
    »Und für welchen Sender arbeiten Sie?«
    Kurz herrschte Stille in der Leitung.
    »Dr. Anata, ich rufe von keinem Sender an; ich ... ich bin Teil der Story«, sagte Liv, bevor Dr. Anata Zeit hatte, ihr ins Wort zu fallen. »Ich bin ... Ich bin die Schwester des Mönchs.«
    Kurz glaubte Miriam, sich verhört zu haben. Dann wusste sie nicht, ob sie der Frau glauben sollte.
    »Ich habe seine Leiche gesehen«, fuhr Liv fort, »oder zumindest Fotos davon. Er ist verschwunden, bevor ich ihn persönlich habe sehen können. Da waren Zeichen auf ihm, so eine Art rituelle Narben. Könnten Sie sich die wohl mal ansehen und mir Ihre Expertenmeinung dazu sagen?«
    Narben? Miriam drehte sich der Kopf. »Äh ... hm ... Haben Sie diese Fotos?«, flüsterte sie.
    »Nein«, antwortete Liv, »aber ich kann Ihnen zeigen, wie sie aussehen. Und da ist noch etwas anderes ... etwas, das mit dem Sakrament zu tun haben könnte.«
    Miriam lehnte sich an den Getränkeautomaten. »Und was soll das sein?«, fragte sie.
    »Es ist vermutlich einfacher, wenn ich Ihnen das zeige.«
    »Natürlich.«
    »Wann hätten Sie denn Zeit?«
    »Jetzt. Ich bin in einem Fernsehstudio im Stadtzentrum. Und wo sind Sie?«
    Liv hielt kurz inne. Sie wollte ihren Aufenthaltsort nur ungern preisgeben. Ein Freund, ein Cop, hatte ihr einmal gesagt, das beste Versteck sei in einer Menschenmenge. Sie brauchte also einen öffentlichen, geschäftigen Ort, der nicht allzu weit entfernt war. Liv schaute auf die Zeitung mit dem Bild von Samuel auf dem Gipfel der meistbesuchten Touristenattraktion der Welt. »Treffen wir uns am Fuß der Zitadelle«, sagte sie.

K APITEL 88
    Kutlar konnte noch immer den Knoblauch und den Schweiß von dem leeren Sitz neben sich riechen. Er blinzelte, als der Van den Tunnel verließ. Eine Gestalt kam durch die Gasse zwischen den Parkhäusern auf sie zu.
    Kutlar klappte sein Notebook auf und starrte auf die Sanduhr.
    Johann erreichte den Van und tauschte im selben Moment den Platz mit Cornelius, als der Stadtplan auf dem Bildschirm sich neu konfigurierte. Ein Pfeil deutete auf den Standort von Livs Handy. Kurz erschien wieder die Sanduhr und dann ein zweiter Pfeil links oberhalb des ersten. Das war ihre eigene Position.
    Sie waren nicht weit weg.
    Cornelius beobachtete, wie der Pfeil in der Mitte des Bildschirms ein Stück die Straße raufwanderte. »Sie bewegt sich.«
    Johann lenkte den Wagen in Richtung Ringstraße.
    Nach dem nächsten Screenrefresh bewegte sich auch der zweite Pfeil. Wie ein Bussard umkreiste er den ersten und kam ihm dabei immer näher.
    *
    Bruder Samuels Leichnam war bis zur Hüfte freigelegt und mit ausgestreckten Armen aufgebahrt wie die Form über dem Altar am anderen Ende der Kapelle des Sakraments. Der Abt ließ seinen Blick über das zerstörte Fleisch wandern,

Weitere Kostenlose Bücher