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Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
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knisterte im Kamin und saugte die Luft aus dem Raum im Tausch für ein wenig Licht und Wärme. Die einzige andere Lichtquelle war eine Reihe von Maschinen, die rund um die Uhr arbeiteten, das Blut des Prälaten mit Sauerstoff versorgten und ihn so am Leben hielten.
    Vorsichtig näherte sich der Abt dem riesigen Bett, das den Raum beherrschte, bis er eine hagere Gestalt erkennen konnte. In dem schwachen Licht sah es so aus, als sei der Prälat in einem Netz aus Schläuchen und Drähten gefangen. Er wirkte wie ein Geist, und nur seine Augen schienen Substanz zu haben. Sie waren dunkel, wachsam und verfolgten das Näherkommen des Besuchers.
    Der Abt griff über das riesige Laken hinweg, um die klauenartige Hand des Prälaten zu ergreifen. Trotz der erstickenden Hitze im Raum war sie so kalt wie der Berg. Der Abt senkte den Kopf und küsste den Ring mit dem Siegel des erhabenen Amtes.
    »Lasst uns allein«, sagte der Prälat mit trockener, gequälter Stimme.
    Zwei Apothecari in weißen Soutanen erhoben sich wie Geister von ihren Stühlen. Der Abt hatte sie in den Schatten gar nicht bemerkt. Die beiden Männer stellten die Maschinen so ein, dass sie einen potenziellen Alarm auch draußen auf der Treppe hören konnten, und verließen dann den Raum. Der Abt wandte sich seinem Herrn wieder zu und sah, wie sich der Blick der klaren Augen in ihn hineinbrannte.
    »Sag mir ... alles ...«, flüsterte der Prälat.
    Der Abt gab dem Prälaten einen Überblick über die Ereignisse dieses Morgens. Er ließ nichts aus, während die Augen des Prälaten ihn weiter durchbohrten. Laut ausgesprochen schien alles noch viel schlimmer zu sein, und der Prälat war nicht gerade für seine Nachsicht bekannt. Er war selbst Abt gewesen, als ein Novize sie während des Ersten Weltkriegs zum letzten Mal verraten hatte, und seine Erbarmungslosigkeit bei der Lösung dieses Problems hatte ihm schlussendlich den Weg zum Amt des Prälaten geebnet. Insgeheim hoffte der Abt, dass das auch ihm in diesem Fall gelingen werde.
    Der Abt beendete seinen Bericht, und die Augen seines Herrn wandten sich endlich von ihm ab und richteten sich auf irgendetwas in der Dunkelheit über dem Bett. Sein langes Haar und sein langer Bart waren dünn und noch weißer als das Laken, das ihn wie ein Leichentuch bedeckte. Seine einzigen Bewegungen waren das rhythmische Heben und Senken seiner Brust und das Zittern der Adern unter der papierdünnen Haut.
    »Eine Schwester?«, fragte der Prälat schließlich.
    »Das ist zwar noch nicht bestätigt, Euer Heiligkeit, aber trotzdem bereiten uns diese neuesten Informationen große Sorgen.«
    »Große Sorgen ... sollte lieber sie haben ...«
    Der Prälat konnte nur in kurzen Wortfolgen sprechen. Jeder Satz wurde unterbrochen, wann immer die Maschinen Sauerstoff in seine Lunge pumpten.
    »Ich bin froh, dass Euer Heiligkeit mir zustimmen«, erwiderte der Abt.
    Die scharfen Augen wandten sich ihm wieder zu.
    »Ich habe gar nichts ... zugestimmt«, erklärte der Prälat. »Ich nehme an ... durch deinen Besuch ... bei dem du mir nichts bringst ... außer Fragezeichen ... willst du ... meine Erlaubnis ... das Mädchen zum Schweigen zu bringen ...«
    »Das scheint mir weise zu sein.«
    Der Prälat seufzte und richtete seinen Blick wieder in die Dunkelheit.
    »Noch mehr Tod«, murmelte er vor sich hin. »So viel Blut.«
    Er atmete mehrmals tief durch, und das Zischen des Beatmungsgeräts erfüllte den Raum.
    »Seit Tausenden von Jahren«, fuhr der Prälat in seiner stockenden Art fort, »sind wir die Hüter ... des Sakraments ... eines Geheimnisses ... das in ungebrochener Linie ... von den Gründern unserer Kirche ... an uns weitergereicht wurde. Pflichtbewusst ... haben wir dieses Geheimnis bewahrt ... aber es hat uns auch ... von der Welt isoliert ... hat viele Opfer verlangt ... so viel Blut ... nur um verborgen zu bleiben. Hast du dich ... je gefragt, Bruder Abt ... was der Zweck von alledem ist?«
    »Nein«, antwortete der Abt, der nicht wusste, worauf der Prälat hinauswollte. »Unsere Arbeit hier ist klar. Wir verrichten Gottes Werk.«
    »Spar dir ... deine Plattitüden«, sagte der Prälat überraschend kraftvoll. »Ich bin ... kein Novize mehr ... Ich meine ganz speziell ... was wir hier tun ... Glaubst du wirklich ... das ist Gottes reines Werk?«
    »Natürlich.« Der Abt legte die Stirn in Falten. »Unsere Berufung ist gerecht. Wir tragen die Last der Vergangenheit, um der Menschheit eine Zukunft zu geben.«
    Der Prälat lächelte.

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