Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sanctus

Sanctus

Titel: Sanctus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Toyne
Vom Netzwerk:
die Akte.
    Liv schnürte es die Kehle zu, als ihr klar wurde, was dort drinstehen musste.
    »Aber Sie haben auch gesagt, der Mann sei Ihr Bruder ... und damit habe ich ein Problem.« Arkadian legte die Stirn in Falten wie ein Vater, der schwer von seinem Sohn enttäuscht war. »Und dann tauchen Sie mitten in der Nacht am Flughafen auf und reden von Überfällen und Leuten, die erschossen wurden, und auch das stellt meinen Glauben auf die Probe, Miss Adamsen.« Er schaute Liv mit traurigen Augen an. »Es gibt keinerlei Berichte über irgendwelche Autounfälle in der Nähe des Flughafens. Auch nichts über Schießereien. Und bis jetzt hat auch noch niemand einen Toten auf der Straße gefunden. Tatsächlich behauptet das im Augenblick nur eine einzige Person, und die ...«
    Liv ließ den Kopf sinken und kratzte sich mit beiden Händen wild das verdreckte Haar wie ein Hund, bis winzige Glassplitter auf den Tisch rieselten. Dann hörte das wilde Kratzen genauso schnell auf, wie es begonnen hatte, und Livs grüne Augen strahlten aus ihrem verschmierten Gesicht. »Glauben Sie, ich trage immer die Überreste herausgeschossener Wagenscheiben im Haar? Nur für den Fall, dass ich damit mal eine Story belegen muss?«
    Arkadian schaute sich die winzigen Splitter an.
    Liv rieb sich die Augen mit ihren halbwegs sauberen Händen, die nun nach Babyöl rochen. »Wenn Sie mir nicht glauben wollen, dass ich fast entführt worden wäre, fein. Mir egal. Ich will nur meinen Bruder sehen, mir die Augen aus dem Kopf heulen und ihn dann nach Hause bringen.«
    »Und ich würde nichts lieber tun, als Ihnen das zu ermöglichen. Aber ich bin noch nicht davon überzeugt, dass er wirklich Ihr Bruder ist und Sie nicht einfach nur eine Journalistin auf der Suche nach der nächsten großen Story.«
    Verwirrung legte sich auf Livs Gesicht. »Was denn für eine große Story?«
    Arkadian blinzelte, als hätte gerade etwas Klick in seinem Kopf gemacht. »Beantworten Sie mir eine Frage«, sagte er. »Nachdem ich das erste Mal mit Ihnen gesprochen habe, haben Sie da eine Zeitung gelesen oder die Nachrichten gesehen?«
    Liv schüttelte den Kopf.
    »Warten Sie mal hier.« Arkadian klopfte an das Fenster. Die Tür öffnete sich, und er verschwand.
    Liv schnappte sich ein Brötchen. Es war noch warm. Sie verschlang es und schaute durch die einen Spaltbreit offenstehende Tür in ein schmuddeliges Großraumbüro. Sie hörte Telefone summen und Gespräche und sah Schreibtische voller Papierkram. Sie fühlte sich hier gleich wie zu Hause.
    Arkadian kehrte im selben Augenblick wieder zurück, als Liv das erste Brötchen mit dem Kaffee herunterspülte und nach dem zweiten griff. Der Inspektor warf ihr die Zeitung von gestern Abend hin.
    Liv sah das Bild auf der Titelseite, und etwas in ihr zerbrach. Vor ihren Augen verschwamm alles. Sie streckte die Hand aus, um das Bild des bärtigen Mannes auf dem Gipfel der Zitadelle zu streicheln. Ein Schluchzen stieg tief aus ihrem Inneren hoch, und Tränen traten ihr in die Augen.

K APITEL 54
    Das Morgengrauen zog jeden zurück in die große Kathedrale zur Matutin, der letzten der vier Nachtwachen, um Zeuge zu werden, wie die Nacht starb und ein neuer Tag geboren wurde. Das war ein starkes Symbol für die Wiedergeburt, die Erlösung von dem Bösen und den Triumph des Lichts über die Dunkelheit, eine Pflichtveranstaltung für jeden Bewohner der Zitadelle.
    Nur dass heute etwas anders war.
    Athanasius bemerkte es, als Vater Malachi gerade eine seiner rhetorischen Katastrophen auf der Kanzel zelebrierte und er gedankenverloren den Blick über die rot gewandeten Wachen vor sich schweifen ließ. Trotz der strengen Regel, dass jeder an der Matutin teilzunehmen hatte, fehlte einer von ihnen. Mit seinen fast zwei Metern ragte Guillermo Rodriguez für gewöhnlich aus der Masse hervor; heute war er jedoch nicht da.
    Athanasius erinnerte sich an die zweiundsechzig Personalakten, die er dem Abt gestern in seine Gemächer gebracht hatte. Zweiundsechzig rote Akten für zweiundsechzig Carmina. Er drehte sich leicht, als höre er aufmerksam zu, doch in Wirklichkeit zählte er stumm die Rotmäntel durch.
    Die Luft erzitterte, als alle den letzten Lobgesang in der Ursprache ihrer Kirche anstimmten. »Jeden Tag will ich dich segnen und deinen Namen auf ewig preisen. Gesegnet seiest du, O HERR. Lehre mich deine Regeln.«
    Athanasius hatte gerade den letzten Vers gesungen, als sich die Gemeinde auch schon wieder auflöste. Es waren nur

Weitere Kostenlose Bücher