Sanctus
die Mission erklärt hatte. Er strich sich über die kahlen Stellen an seinen Wangen und erinnerte sich an die Straße in Kandahar und die unschuldig aussehende Gestalt mit dem Bündel in der Hand, das durchaus ein Kind hätte sein können. Sie hatte ihr gepanzertes Fahrzeug gerade lange genug aufgehalten, dass ein Panzerfaustschütze in aller Ruhe hatte zielen können.
Es war stets gut, sich den Feind vorzustellen.
Das half Cornelius, sich zu konzentrieren.
Für ihn war die junge Frau also diejenige, die geholfen hatte, seinen ganzen Zug auszulöschen, die Zerstörerin der einzigen Familie, die er je gekannt hatte – bis die Kirche ihn in ihre Arme geschlossen hatte. Für Cornelius bedrohte sie nun diese neue Familie, und das gab ihm Kraft und Entschlossenheit. Diesmal würde er sie aufhalten.
Johann stieg aus und ging auf die Rückseite des Vans, als Kutlar sie endlich erreichte.
»Steig ein«, sagte Cornelius.
Kutlar tat, wie ihm geheißen. Er sah aus wie ein geprügelter Hund.
Johann kehrte wieder zurück und ging wortlos in die Richtung, aus der Kutlar gerade gekommen war.
Cornelius rutschte auf den Fahrersitz und gab Kutlar die Adresse. »Bring uns da hin«, sagte er.
Schmerzen schossen durch Kutlars Bein, als der Wagen sich rumpelnd in Bewegung setzte. Er dachte darüber nach, sich eine der Pillen aus seiner Tasche einzuwerfen, doch er wusste, dass er sich das nicht leisten konnte. Die Pillen würden zwar den Schmerz beseitigen, aber sie würden ihm auch das Gefühl vermitteln, alles sei wunderbar, und das durfte nicht sein.
Nicht, wenn er überleben wollte.
*
Johann drehte den Kopf nicht, als der Van an ihm vorbeifuhr. Er ging um die Ecke und zu Zillis Laden. Als er näher kam, nahm er mit der rechten Hand das Handy aus der Tasche, steckte die linke in seine Windjacke und schloss die Finger um seine Glock.
Zilli stand auf einem Stuhl hinter dem Tresen und schob gerade eine Plastikkiste mit einer leeren CD-Spindel und einem alten Megadrive ins Regal.
»Können Sie solche Dinger codefrei machen?« Johann hielt das Handy in die Höhe.
Zilli drehte sich um und kniff die Augen zusammen.
»Sicher.« Er kletterte herunter. »Was haben Sie da? Ein BlackBerry?« Johann nickte.
»Nettes Teil.« Zilli tippte auf der Tastatur eines PCs, der sich trotz seines uralten Äußeren in jedes bekannte Telefon hacken konnte.
Dann rief er das Menü auf und erkannte zu spät, dass das Handy bereits codefrei war.
K APITEL 77
Der Duft der Kaffeemaschine in der Ecke konnte den Geruch der Leichenhalle nicht überdecken. Arkadian saß hinter Reis’ hoffnungslos überfülltem Schreibtisch und wartete darauf, dass eine übergroße PDF-Datei downgeloadet wurde. Draußen kehrte langsam wieder die Normalität zurück.
Die Akte kam vom US-Heimatschutzministerium als Antwort auf einen Fingerabdruck, den sie auf der Plastikplane gefunden hatten. Sie hatten ihn in weniger als einer Minute gefunden. Arkadian konnte es kaum glauben. Sicher, im Fernsehen fanden die Ermittler immer einen Fingerabdruck, jagten ihn durch ihren Computer und hatten kurz darauf Name, Adresse und was sie sonst noch brauchten; im Revier war das jedoch mehr ein Running Gag. In der echten Welt wurden Verdächtige nur selten anhand von Fingerabdrücken identifiziert. Sie gehörten zwar zur Beweiskette, wurden zumeist aber erst zur Bestätigung herangezogen, wenn der Täter anhand anderer, zeitaufwendigerer Mittel bereits überführt war. Fingerabdrücke waren nämlich meist schlicht nicht registriert; also konnte man auch keinen Abgleich vornehmen.
Schließlich war die Datei downgeloadet, und Arkadian öffnete sie. Schon auf der ersten Seite wurde ihm klar, warum sie so schnell einen Treffer bekommen hatten. Es handelte sich um eine Dienstakte des US-Militärs. Den Männern und Frauen der Streitkräfte wurden regelmäßig Fingerabdrücke abgenommen. So konnte man sie schneller identifizieren, sollten sie in Erfüllung ihrer Pflicht fallen. Bis vor kurzem waren die meisten Länder ausgesprochen zurückhaltend gewesen, wenn es um die Personalakten ihres Militärs ging – aber das war vor dem 11. September gewesen. Heutzutage standen sie jeder befreundeten Nation zur Verfügung, die danach fragte.
Arkadian scrollte weiter und begann zu lesen.
Die Akte enthielt vollständige Informationen zur Dienstzeit von Sergeant Gabriel de la Cruz Mann (außer Dienst), einem ehemaligen Angehörigen der 5th US Special Forces Group. Ein Foto zeigte einen uniformierten
Weitere Kostenlose Bücher