Sanctus
handelte. Er sah kurzes schwarzes Haar und einen Polizeischwimmanzug. Nein, das war sie nicht. Dann entdeckte Sully den Notausgang, und ihm schnürte sich die Kehle zu. Er lief dorthin. Als er sie aufstieß und der Alarm ertönte, wusste er, was geschehen war.
Draußen wimmelte es nur so von Menschen. Sully suchte nach einem dunkelblauen Polizeisweatshirt – ohne Erfolg. Die Tür schloss sich hinter ihm, und der Alarm verstummte. Das Handy vibrierte in seiner Hand. Er schaute auf das Display. Hoffentlich war das nicht Arkadian, der sich nach dem Stand der Dinge erkundigen wollte. Die Nummer war unterdrückt.
»Hallo?«
Ein weißer Transit hielt neben ihm.
»Hallo«, erwiderte der Fahrer.
K APITEL 79
Liv bahnte sich einen Weg durch die Menge. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie lief, aber sie wusste, dass sie außer Sicht bleiben und so weit wie möglich vom Polizeihauptquartier wegkommen musste, solange sie noch ihre fünf Sinne beisammenhatte. Liv zog sich die Kapuze über das nasse Haar. Sie reihte sich hinter einer Gruppe Frauen ein, sodass es so aussah, als gehöre sie zu ihnen. Zu dieser Tageszeit handelte es sich bei den meisten Leuten auf der Straße um Touristen, und das war Livs Glück. Wären nur Schlipsträger unterwegs gewesen, wäre sie mit ihrem Sweater aufgefallen, und es gab auch nicht viele blonde Einheimische.
Straßenhändler priesen leidenschaftlich ihre Waren an, meist Teppiche oder einheimisches Kunsthandwerk, und vor ihr ragte ein Zeitungsstand aus dem Bürgersteig und teilte die Menschenmasse. Im Vorbeigehen schaute Liv auf die Titelblätter; auf jedem prangte das Bild ihres Bruders. Erneut fühlte sie Gefühle in sich aufwallen, doch diesmal war es keine Trauer, sondern Wut. Es gab so viele Fragezeichen in Bezug auf Samuels Tod, da waren irgendwelche Buchstabenrätsel nur Zeitverschwendung. Liv fühlte sich zumindest teilweise für den Kurs verantwortlich, den das Leben ihres Bruders eingeschlagen hatte; doch in den Selbstmord hatte ihn etwas anderes getrieben, und sie schuldete es ihm, herauszufinden was.
Liv hob den Blick und sah die Zitadelle über die Touristenmassen ragen, die langsam auf sie zuströmten, als würden sie magisch davon angezogen. Auch Liv fühlte sich dorthin gezogen, allerdings aus völlig anderen Gründen; doch das würde erst einmal warten müssen. Es kostete zwanzig Euro, die Altstadt zu betreten, hatte sie in ihrem Reiseführer gelesen, und im Augenblick hatte sie nur ein paar Dollar in der Tasche.
Liv holte ihr Handy heraus, öffnete die letzte SMS und drückte auf Rückruf.
*
Der Van fuhr langsam die Straße hinunter. Sully saß an der Tür, direkt neben dem Mann, der schwitzte wie im Hochsommer. Der große Kerl mit dem Flickenteppich von Bart fuhr. Alle drei schauten schweigend auf die Straße.
Sully hatte nicht einsteigen wollen. Informationen zu verkaufen war eine Sache, direkt in etwas involviert zu sein, wobei es sich offenbar um eine Entführung handelte, war jedoch etwas vollkommen anderes. Das konnte er doch nicht tun. Das war hochgradig kriminell, um Himmels willen! Das brachte alles in Gefahr. Aber der große Mann mit dem wie geschmolzen aussehenden Gesicht war hartnäckig gewesen, und da Sully sich direkt vor dem Polizeihauptquartier auf keine Diskussion hatte einlassen wollen, war er eingestiegen.
Nun schaute Sully aus dem Fenster und hielt nach den blonden Haaren der jungen Frau und dem Polizeisweatshirt Ausschau. Wieder zurück auf dem Revier würde man ihm die Hölle heiß machen, weil er sie hatte entkommen lassen, doch damit würde er zurechtkommen. In jedem Fall war das tausend Mal besser, als bei diesen Kerlen hier zu sein, wenn sie zuschlugen.
»Ich habe sie!« Der verschwitzte Kerl auf dem Mittelsitz drehte den Bildschirm des Ortungsgerätes zum Fahrer. Der sah sich die Anzeige kurz an und schaute dann wieder nach vorne, wo die Straße nach links abbog und sich hinter einer Betonsperre ein breites, gepflastertes Areal erstreckte. Das war eine Fußgängerzone, wo man die antiken Gebäude entkernt und in Souvenirläden für Touristen verwandelt hatte. Es wimmelte hier nur so vor Menschen. »Sie ist da drin«, sagte der Mann.
Sully ließ seinen Blick über das Areal schweifen. Er sah eine Touristengruppe, die sich von ihnen entfernte, und einer dieser Touristen trug ein dunkelblaues Sweatshirt. Die Menge teilte sich kurz, bevor sie hinter einem Zeitungsstand verschwand, und Sully sah kurz den Aufdruck POLIZEI auf dem Sweatshirt.
Der
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