Sanctus
Mann mit strengem Kurzhaarschnitt und stechenden blauen Augen. Arkadian verglich es mit den Ausdrucken der Überwachungskameras. Das Haar war zwar länger, aber es handelte sich um denselben Mann.
Arkadian ging die ganze Akte durch – Hintergrundinformationen, psychologische Evaluierungen, Sicherheitsüberprüfungen, alles. De la Cruz war zweiunddreißig Jahre alt und hatte einen amerikanischen Vater sowie eine halb brasilianische, halb türkische Mutter. Der Vater war Archäologe, und die Mutter hatte zunächst für Ortus gearbeitet und dann die Leitung der Organisation übernommen. In seiner Kindheit war de la Cruz also viel herumgekommen.
Seine Schulzeit hatte er an wechselnden internationalen Schulen verbracht und später dann mit einem Stipendium in Harvard Sprachen und Wirtschaft studiert. Er sprach fünf Sprachen fließend einschließlich Englisch, Türkisch und Portugiesisch, und nach seinen Einsätzen in Afghanistan kam er auch mit Paschtu und Dari zurecht.
Plötzlich erregte etwas Arkadians Aufmerksamkeit, und er schaute genauer hin. Zu Beginn seines letzten Jahres in Harvard geschah etwas, das große Auswirkungen auf den jungen Gabriel gehabt hatte. Dr. John Mann, sein Vater, war zusammen mit mehreren Kollegen im Irak nahe Al-Hillah ermordet worden, als sie gerade einen bedeutenden Fund antiker Texte katalogisiert hatten. Dieses Verbrechen hatte international für großen Aufruhr gesorgt. Saddam Hussein, damals noch regierender Diktator, hatte kurdischen Rebellen die Schuld an dem Massaker gegeben. Die internationale Gemeinschaft nahm jedoch an, Saddam habe die Tat selbst begangen, um sich die unbezahlbaren Schätze unter den Nagel zu reißen, aber wie auch immer: Keiner der Texte war je wieder zum Vorschein gekommen.
Aus der Akte war nicht ersichtlich, wem Gabriel die Schuld am Tod seines Vaters gab, aber die Tatsache, dass er sein Studium abgebrochen und sich bei der US Army eingeschrieben hatte – und das kurz vor dem Irak-Krieg –, ließ vermuten, dass er die allgemeine Meinung teilte. Er trat als einfacher Soldat in die Army ein, obwohl er mit seiner akademischen Vorbildung sicher auch ein Offizierspatent hätte bekommen können, und schloss die Grundausbildung mit so guten Noten ab, dass er sofort für die Special Forces zugelassen wurde.
Er verbrachte neun Monate in Fort Campbell an der Grenze von Kentucky und Tennessee, wo man ihm beibrachte, ein Flugzeug zu fliegen, aus ihm hinauszuspringen und Menschen auf unterschiedlichste Weise und mit den unterschiedlichsten Waffen zu töten. Allerdings schwieg sich die Akte darüber aus, was für Aufgaben er genau hatte erfüllen müssen – das war geheim –, aber er diente als Sergeant in Afghanistan während der Operation Enduring Freedom und wurde zweimal ausgezeichnet, einmal für Tapferkeit vor dem Feind, und einmal wegen seiner Teilnahme an einer verdeckten Geiselbefreiungsaktion. Vor vier Jahren war er dann aus dem aktiven Dienst ausgeschieden. Allerdings stand in der Akte nicht warum.
Am Ende der Akte war eine weitere Seite angehängt, auf der seine bekannte Karriere seit dem Ausscheiden aus dem Dienst vermerkt war. Vor allem hatte de la Cruz als Sicherheitsberater für Ortus gearbeitet und war viel in Südamerika, Europa und Afrika gewesen.
Arkadian googelte nach Ortus. Ihre Homepage zierte ein ihm inzwischen nur allzu bekanntes Bild: die Statue eines bärtigen Mannes mit ausgestreckten Armen – Christus der Erlöser in Rio de Janeiro. Ortus behauptete von sich, die älteste Wohltätigkeitsorganisation der Welt zu sein, gegründet im elften Jahrhundert nach der Auflösung eines uralten Mönchsordens, der Bruderschaft der Mala, deren Ursprünge bis in die Urzeit zurückreichten. Sie war gezwungen gewesen, sich aufzulösen, nachdem die Kirche sie als häretisch gebrandmarkt hatte. Viele ihrer Mitglieder waren aufgrund ihres Glaubens auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, die Welt sei eine Göttin und die Sonne ein Gott, und alles Leben entspringe ihrer Vereinigung. Andere waren entkommen, hatten sich neu formiert und waren als säkulare Organisation wiederauferstanden, die es sich zum Ziel gemacht hatte, die Arbeit der heiligen Männer fortzusetzen.
Arkadian scrollte die Liste der aktuellen Projekte durch und konzentrierte sich auf diejenigen, an denen Gabriel de la Cruz Mann beteiligt sein könnte. So gab es ein größeres Projekt in Brasilien zum Schutz des Regenwalds vor illegalen Rodungen und Goldschürfern und ein weiteres im
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