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Sand & Blut

Sand & Blut

Titel: Sand & Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xander Morus , Isabell Schmitt-Egner
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die Moralvorstellungen an, die wir haben. In anderen Ländern kann der Schlag in das Gesicht eines anderen einen Mord rechtfertigen. Bei uns bekommt man für Vergewaltigung ein halbes Jahr auf Bewährung, wenn man Glück hat. Wenn man vorher gesoffen hat, bestimmt. Dann kann man ja nichts dafür.«
    Die letzten Worte sprach er voller Hass und Meike zuckte zusammen.
    »Mich regt so was tierisch auf. Tut mir leid, wenn ich dann etwas laut werde.« Er seufzte. Und Meike nahm ihm sein Bedauern beinahe ab.
    »Hast du das schon öfter gemacht?«, fragte sie vorsichtig.
    Vincent lächelte gequält, fast traurig.
    »Jetzt kommt die Analyse oder was? Du denkst doch, dass ich ein Psycho bin. Das denkst du. Ich habe bis heute niemandem was getan. Tut mir leid, wenn ich dein Bild von mir damit zerstöre.«
    »Ich hatte ein gutes Bild von dir bis gestern. Ich mochte dich.«
    »Ja, sicher. Was an mir mochtest du denn? Die Kohle, das Schiff, mein Äußeres ... du hast dich doch gar nicht mit mir unterhalten. Woher willst du irgendwas über mich wissen?«
    Meike schwieg. Dagegen konnte sie nichts Schlagfertiges vorbringen und sie fühlte sich ein wenig erwischt, als ob er ein sehr abgedroschenes Argument entlarvt hätte.
    »Für mich ist das auch keine leichte Situation. Sie ist irgendwie ...« Meike suchte nach Worten.
    »... unreal, unecht«, ergänzte Vincent. »Man glaubt nicht, dass das gerade wirklich passiert. Ich weiß, was du meinst.«
    »Genau!«, sagte Meike erstaunt. Er lächelte wieder dieses halb verlegene Lächeln. Es ließ ihn jünger wirken. Anscheinend tat er das, wenn sie seiner Meinung war oder ihm zustimmte und Meike überlegte kurz, ob sie ihn auf diese Weise beeinflussen konnte. Dann verwarf sie den Gedanken. Vincent war zu clever. Es würde ihm nicht entgehen, wenn sie Manipulationsversuche startete.
    »Es fühlt sich anders an, als ich dachte«, fuhr er fort.
    »Nicht so gut, wie du es dir vorgestellt hast.«
    »Ja. Ich habe mich jahrelang vorbereitet und auf eine Gelegenheit gewartet. Und dann war der Tag plötzlich da. Meine Erwartungen haben sich in den Jahren hochgeschraubt. Ich habe es mir immer wieder vorgestellt, wie es sein würde. Ich wusste, entweder muss ich damit abschließen und es zu den Akten legen oder es doch noch tun. Ein paar Mal war ich kurz davor, alles hinzuschmeißen, aber ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie ungestraft so weiter machen dürfen.«
    Meike sah auf die Flasche in ihren Händen. Erwartete er, dass sie ihm die Absolution erteilte?
    »Ich erwarte keinerlei Verständnis von dir«, sagte Vincent, als ob er ihren Gedanken gespürt hätte. »Aber ich muss es jemandem sagen. Wer weiß, was noch passiert.«
    Meike wusste nicht, was sie darauf antworten sollte.
    »Weißt du, was mich wundert?«, fuhr Vincent fort. »Dass du mich nicht erkannt hast. Bei den anderen hab ich damit gerechnet. Aber du? Als ich euch zum Abendessen eingeladen habe, das war ein Test. Sozusagen die letzte Chance, einen Rückzieher zu machen. Aber ihr wart so unbedarft, habt mich wie einen Fremden behandelt. Ich konnte sogar meinen echten Namen benutzen. Warum hast du nichts gemerkt?«
    Meike dachte darüber nach. Spontan fiel ihr keine gute Antwort ein. In der Schule hatte Vincent, den sie als Maximilian kannte, kaum ein Wort gesprochen. Sie hätte seine Stimme nicht wiedererkennen können. Schon gar nicht Jahre später. Seine Haltung, sein Blick, die Sprache, das alles hatte er trainiert, um sie zu täuschen, aber niemals hätte sie darauf gesetzt, dass das ausreichte.
    »Vielleicht bin ich ja so oberflächlich wie die anderen. Ich schaue nicht hin.« Meike nahm noch einen Schluck aus ihrer Flasche.
    »Das klang jetzt selbstmitleidig«, sagte Vincent.
    »Kann sein.« Meike schämte sich fast ein wenig, obwohl nicht sie hier auf der Anklagebank saß, verdammt noch mal. Warum machte es ihr etwas aus, wenn Vincent sie arrogant und oberflächlich fand? Es konnte ihr egal sein, was dieser Verrückte dachte.
    »Man muss ehrlich zu sich selber sein, wenn man schon andere anlügt. Das ist sehr wichtig und sehr schwierig«, sagte Vincent. »Es bringt nichts, etwas anders zu nennen, als es ist. Du ärgerst dich gerade über dich selbst. Weil du insgeheim die ganze Zeit schon dachtest, dass du sensibler und umsichtiger bist als deine Freunde. Dass du sozialer bist. Vielleicht sogar reifer. Das ist ganz normal, denn fast jeder denkt das von sich. Aber du machst auch Fehler oder übersiehst etwas. Sei nicht

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