Sand & Blut
hab ich Angst.«
»Vor mir?«, fragte Meike.
»Du hast mir jetzt was voraus«, sagte Vincent und machte eine schwache Geste Richtung Konny. Er verzog das Gesicht vor Schmerzen.
Ohne darüber nachzudenken, legte Meike ihm die Hand auf die Stirn. Sie spürte, wie er unter ihrer Berührung zitterte.
»Hast du einen Verbandskasten?«, fragte sie. Vincent sah sie mit einem Hauch von Erstaunen an.
»Im Bad ist einer.«
»Gut. Bleib einfach hier liegen. Du hast ziemlich was auf den Schädel bekommen. Wahrscheinlich ne Gehirnerschütterung.«
Sie stand auf und ging in das kleine, aber luxuriöse Badezimmer. Sie legte das Messer in den Mülleimer neben der Toilette. Dann öffnete sie die Schranktüren und durchsuchte die Fächer, bis sie den kleinen, schwarzen Plastikkasten fand, auf dem ein rotes Kreuz aufgedruckt war. Sie nahm ihn mit und hielt kurz im Flur an, wo sie gestern Morgen, als die Welt noch richtig gewesen war, mit klaren Regeln, ihren Rucksack abgestellt hatte. Sie öffnete ihn, nahm ein T-Shirt heraus und zog es sich über. Dann ging sie zurück ins Wohnzimmer. Vincent lag noch an derselben Stelle und hatte die Augen geschlossen. Als sie sich neben ihn kniete, öffnete er sie wieder.
»Wir müssen das desinfizieren, damit sich nichts entzündet«, sagte sie.
»Ich habe Wasserstoffperoxid und Antibiotika«, sagte Vincent. »Und Morphintropfen.«
»Du bist ja bestens ausgestattet. Hier, halt das mal fest.« Sie drückte Vincent ein Stück Mull in die Hand, das sich sofort rot färbte, als er es auf die Wunde presste.
Meike versorgte die beiden Stichwunden und desinfizierte sie.
»Du solltest die Antibiotika später zur Sicherheit nehmen. Er hat schon wieder deinen Arm erwischt«, sagte sie, als sie das letzte Stück Mull festband.
»Alles wiederholt sich. Immer wieder. Bis man dem ein Ende setzt.« Vincent sah zu, wie sie an seinem Arm arbeitete, und schielte einmal kurz zu dem Toten neben der Couch.
»Ich geb dir was von dem Morphin gegen die Schmerzen, okay? Du musst dich nach dem Schlag auf den Kopf sowieso erst mal ausruhen.« Meike stand auf und öffnete die Oberschränke der kleinen Bar. Sie nahm ein Trinkglas heraus, studierte kurz die Dosierung auf dem Beipackzettel und zählte dann die Tropfen ab. Sie füllte das Glas mit Wasser auf und ging zu Vincent zurück.
»Trink das«, sagte sie und hielt ihm das Glas hin. Er sah zu ihr auf, mit einem halb traurigen, halb misstrauischen Ausdruck im Gesicht. Meike zögerte.
»Was ist?«, fragte sie.
»Nichts«, sagte Vincent. »Du tust schon das Richtige.«
»Auch wenn es abgeschafft wurde?«, fragte Meike.
»Ja, besonders dann.« Er ließ sich von ihr die Tropfen einflößen.
Dann half sie ihm auf und schaffte ihn bis zu dem Sofa. Vincent sank auf das Polster.
Meike nahm eine Decke und breitete sie über ihm aus.
»Bin müde«, flüsterte er.
»Das sind die Morphintropfen. Schlaf einfach«, sagte sie. Er legte ihr seine Hand auf den Arm. Sanft, in dieser speziellen Art. Im ersten Moment reagierte sie instinktiv und versuchte, ihren Arm wegzuziehen, aber dann sah sie seinen Blick und ließ sie ihn doch gewähren.
»Bitte, geh nicht. Ich hab Angst davor. Auch wenn ich es verdient habe. Trotzdem.«
»Okay, ich bleibe noch, bis du schläfst.« Sie strich ihm über die Stirn. Das war das Einzige, was sie tun konnte, was sich okay anfühlte. Nicht ganz richtig vielleicht, denn Mörder hatten es nicht verdient, dass man ihnen Trost gewährte, aber in dieser Situation war es okay .
»Ich weiß, was du gemacht hast«, flüsterte Vincent. »Du hast so viel Morphin in das Glas getan, dass ich nicht mehr aufwachen werde. Du wolltest mir nicht wehtun.«
»Nein, ich will dir nicht wehtun, aber in dem Glas war nur ganz wenig, Vince. Nur gegen die Schmerzen, mehr nicht. Morgen wachst du wieder auf. Und dann geht’s dir besser.«
»Lügnerin«, flüsterte er. Aber es lag kein Vorwurf in seiner Stimme.
»Ich war ehrlich. Hab ich heute von dir gelernt«, sagte Meike.
»Du bist echt gut. Muss ich schon sagen. Jetzt hab ich dir fast geglaubt.« Vincent lächelte traurig. Und Meike wusste selbst nicht, warum sie sich um ihn kümmerte, nur, dass sie es wollte und keine Kraft mehr übrig hatte, das mit sich auszudiskutieren.
»Du hattest recht mit Konny. Er war verrückt.« Sie warf einen kurzen Blick auf ihren ehemaligen Schulkameraden und war dankbar, dass Konny seine glasigen Augen nicht auf sie richtete, sondern weiter das Sofa anstarrte.
»Und weil
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