Sand & Blut
Wasser lief ihr übers Kinn. Meike trank die ganze Flasche leer. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so einen elementaren Durst verspürt. Vincent sah ihr geduldig zu und wartete.
»Ich hab dir noch was unten ins Zimmer gestellt. Am besten gehst du jetzt runter. Ich muss dich dort einschließen. Wenn wir in Ufernähe sind, lasse ich dich raus und du kannst mit dem Schlauchboot an Land fahren.«
»Warum machst du das?«
»Ich bin nicht so, wie du denkst. Ich bin kein Mörder und kein kranker Typ, der nur mal andere quälen will, wie du dir das vorstellst. Ich gehe nicht los und kille Leute, die mir gerade im Weg stehen. Sie hatten es alle verdient, auf ihre Art. Ich habe sie beobachtet und jahrelang verfolgt, was sie gemacht haben. Du weißt nicht alles, Meike. Sie haben so viel getan. Vor allem Konny. Von ihm glaube ich inzwischen, dass er echt verrückt war. Er hatte sich nicht unter Kontrolle. Es gibt schlechte Menschen. Denk mal nach. Sie werden älter und lernen nichts dazu und später tun sie anderen schlimme Dinge an. Vielleicht sogar ihren Kindern.«
»Du hast sie umgebracht.«
»Ich habe nichts anderes als sie getan. Ich habe eine Grube bereitgestellt, mehr nicht. Wenn du das so siehst, dann haben sie auch versucht, mich zu ermorden. Oder Melanie. War Melanie selbst schuld? Oder Till und Konny, weil die beiden sie so fertig gemacht haben, dass sie nicht mehr fahren konnte? Das ist alles Auslegungssache. Und dich habe ich wieder an Bord gelassen. Ich sagte, ich kann das genau unterscheiden. Ich weiß, was ich tue. Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass du es schaffst. Aber jetzt muss ich entscheiden, wie ich mit dir umgehe. Was würdest du tun?«
Meike zog das Badetuch fester um sich. »Wahrscheinlich dasselbe wie du«, sagte sie.
Er lächelte und sah verlegen zu Boden. Spätestens jetzt war Meike überzeugt, dass er es war. Er konnte sich äußerlich verändert haben, aber manche Gesten bleiben. Vor allem die unbewussten.
»Geh nach unten.« Vincent zeigte zu der Treppe, die in das Boot hinab führte.
Meike ging langsam voran. Sie stieg die Treppe hinunter und spürte Vincents Präsenz hinter sich. Es kostete sie Mühe, sich nicht umzudrehen. Immer noch rechnete sie damit, dass dies nur ein Trick war und Vince sie von hinten erschlagen oder würgen könnte. Aber das tat er nicht. Sie kam in das gemütliche Wohnzimmer mit kleiner Bar, das sie anfangs alle bewundert hatten. Das Licht hatte er gedimmt, sodass man gerade genug sehen konnte, um sich zu orientieren und jetzt bemerkte sie auch, dass er die Fensterscheiben von innen mit Molton verdunkelt hatte. Deshalb hatten sie von der Sandbank aus nicht sehen können, ob etwas an Bord vor sich ging.
»Setz dich«, sagte Vincent. Meike ging zu der Couch und setzte sich auf das weiche Sofa. Dabei sah sie sich unauffällig um, konnte aber nichts entdecken, was man als Waffe verwenden konnte. Vincent kramte in dem kleinen Kühlschrank hinter dem Tresen und förderte ein Sandwichpaket zutage.
»Hier.« Er hielt es ihr so hin, dass sie es nehmen konnte, ohne ihm zu nahe zu kommen. Sie konnte in seiner ganzen Haltung weder etwas Aggressives noch etwas Verschlagenes erkennen. Und er nahm eine gewisse Rücksicht. Verwundert griff Meike nach dem Sandwich. Ihr Magen knurrte, als ihre Sinne Nahrung registrierten. Sie biss hinein, kaute und schluckte. Es schmeckte köstlich und eine Weile klammerte sie die Realität aus, um elementare Bedürfnisse ihres Körpers zu befriedigen. Sie konnte nicht essen, wenn sie gleichzeitig über die Situation nachdenken sollte, in der sie sich befand. Vincent brachte ihr noch eine Flasche Wasser und sie nahm sie – nahezu selbstverständlich – und trank.
Vincent zog sich in die Nähe des Tresens zurück. Er wirkte wachsam, aber nicht aggressiv. Er behielt sie im Auge. Das war nur natürlich. Bis auf die Plastikflasche gab es keine festen Gegenstände in ihrer Nähe. Bestimmt hatte er vorher alles weggeräumt.
»Ich wollte nur, dass es gerecht ist«, sagte er plötzlich. »War das gerecht, Meike?« Sie hob den Kopf und ihr fiel auf, was für große blaue Augen er hatte. Er erwiderte ihren Blick ruhig und bewusst. Meike konnte das nicht ganz einordnen. Wollte er jetzt darüber reden? Er hatte sie alle getäuscht, und er war ein Mann, der seine Wirkung auf andere steuern konnte. Sie musste aufmerksam bleiben.
»Weiß ich nicht«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Ich weiß nicht, was gerecht ist.«
»Das kommt wahrscheinlich auf
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