Sand & Blut
Konrad dich angegriffen?
Weil ich ihm eine Flasche über den Kopf gezogen habe.
Warum hast du das gemacht?
Weil er gerade Vincent töten wollte.
Bist du sicher? Vielleicht wollte er ihn nur überwältigen. Konrad wollte dich vor Vincent beschützen ...
Nein ...
Schwierig. Sie brauchte eine gute Story. Und die hier hörte sich sogar in ihrem Kopf unglaubwürdig an. Am Ende könnte man ihr unterstellen, mit Vincent gemeinsame Sache gemacht zu haben.
Meike war dankbar, dass es aktuell kein offizielles Richtig gab. In diesem Moment konnte sie weder entscheiden noch beurteilen, was sie tun sollte . Sie konnte nur nach ihrem Gefühl handeln.
Vincent atmete tief und gleichmäßig, als sie sich über ihn beugte. In der unechten Welt durfte sie Mitgefühl und Verständnis für ihn aufbringen und das Wissen darum nahm eine große Last von ihr. Die unechte Welt erlaubte es, ihn zu versorgen, ihm Glauben zu schenken, ihn vor Konny zu retten ...
Vincent seufzte im Schlaf und sie konnte nicht einordnen, ob es sorgenvoll oder erleichtert klang. Möglich, dass ihn Alpträume heimsuchten. Das mochte ihnen beiden in der Zukunft blühen.
Meike ging zu der Sitzgruppe gegenüber und löschte das Licht.
Sie legte sich auf das andere Sofa und zog sich eine der ordentlich gefalteten Decken von der Lehne. Ihr Verstand bäumte sich noch einmal auf und versuchte ihr einzureden, dass sie einen Schock haben musste nach diesem Erlebnis, aber Meike konnte sich nicht vorstellen, dass sich ein Schock so anfühlte. Oder sie war schlicht zu erschöpft, um noch schockiert zu sein. Sie hörte Vincent atmen und das Meer hob ab und zu das Schiff ganz sanft an, um es sofort wieder abzusetzen. Wenn ihr vor ein paar Stunden jemand erzählt hätte, dass sie heute noch mit Vincent friedlich in einem Raum übernachten würde ...
Verrückt.
Sie sollte um ihren Freund trauern, verzweifelt in ihr Kissen weinen, aber sie lag hier und fühlte sich ruhig und fast schon zufrieden. In der unechten Welt war das erlaubt. Man musste nicht trauern, wenn einem nicht danach war.
Sie kuschelte sich ein und schloss die Augen.
Eine Hand legte sich auf ihren Arm und Meike schrak hoch. Vincent saß neben ihr und sah sie an. Meike brauchte ein paar Sekunden, bis die Erinnerung zurückkehrte.
»Du bist nicht mal von dem Motorlärm aufgewacht«, sagte er und hielt ihr eine Tasse Kaffee hin. »Man könnte meinen, du hättest die Tropfen genommen. Wir sind schon in Sichtweite zum Ufer.«
Meike nahm den Kaffee und trank fast verlegen einen Schluck von der cremefarbenen Flüssigkeit. Sie konnte nicht fragen Wie geht’s dir? oder etwas Ähnliches. Das passte nicht, und sie war sicher, dass Vince das auch so sah.
»Du hast gehalten, was du gesagt hast. Das war konsequent. Ich habe mich echt gewundert, als ich aufgewacht bin.«
»Es ist gut«, sagte Meike. »Du musst nichts sagen.«
»Okay. Was hast du mit Konrad gemacht?«
»Er ist weg.«
»Hm.«
Sie schwiegen ein paar Sekunden.
»Was immer du den Leuten erzählst, wenn du am Ufer ankommst, ich bin damit einverstanden«, sagte Vincent.
Sie nickte, wusste aber selbst noch nicht, was sie genau sagen würde. Die echte Welt mit ihren Moralvorstellungen nagte an ihr und machte jede Entscheidung schwer. Dort gab es Gesetze für jedes Vergehen. Weil man es selbst eigentlich nicht beurteilen konnte. Manch ein Nachbar hatte Mordfantasien wegen zu Unrecht abgeschnittener Baumäste. Andere duldeten Tierquälerei vor der Haustür, ohne etwas zu unternehmen.
Menschen reagierten verschieden und gemäß ihrer Biografie. Man musste nur den richtigen Knopf finden und drücken. Und wehe dem, der aus Unwissenheit an den großen, roten Knopf kam ... Typen wie Konny standen wahrscheinlich ihr Leben lang unter Strom. Es schlummerte in ihnen und die Gesetze, die Justiz, die drohenden Konsequenzen hielten sie letztendlich zurück, wie die Eisenkette einen bissigen Hund. Aber ließ man sie wirklich los, löste man die Kette von der Hütte, dann stürzten sie sich auf ihre Opfer, packten sie am Genick und schüttelten sie zu Tode. Und es gab Menschen wie Vincent, wobei sie nicht glaubte, dass viele von seiner Sorte auf dem Erdball herumliefen.
Sie nahm noch einen Schluck Kaffee und bemerkte Vincents Blick. Hatte er eben die Tasse kurz angesehen?
Einbildung. Warum sollte er jetzt ...?
Sie sah verunsichert zu ihm auf.
Man könnte meinen, du hättest die Tropfen genommen.
Er erwiderte ihren Blick.
Niemals lässt er mich an Land,
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