Sandkönige - Geschichten
eine weiße Armee hervorbrach, in der jeder Soldat so groß war wie der, der Lissandra angegriffen hatte. Er sah sich selbst von hundert dünnen Mandiblen in die Luft gehoben und in die Dunkelheit geschleppt, wo die Maw schon hungrig wartete. Er hatte Angst. »Tut es nicht!« sagte er.
Sie ignorierten ihn.
Kress sprang vor und rammte seine Schulter in den Rücken des Gehilfen, als dieser zum Feuern ansetzen wollte. Der Gehilfe grunzte, verlor das Gleichgewicht und stürzte in die Dunkelheit. Kress hörte ihn die Treppe hinunterfallen. Danach hörte er andere Geräusche — Schleifen, Schnappen und ein leises Quietschen.
Kress wandte sich wieder Lissandra zu. Er war in Schweiß gebadet, aber eine krankhafte Aufregung hatte ihn gepackt. Es war wie eine sexuelle Erregung.
Lissandras ruhige, eisige Augen betrachteten ihn unter der Maske hervor. »Was tust du?« fragte sie, als Kress den Laser aufhob, den sie fallen gelassen hatte. »Simon!«
»Ich mache Frieden«, kicherte er. »Sie werden ihren Gott nicht verletzen, nein, nicht so lange ihr Gott gut und großzügig ist. Ich war grausam, ließ sie hungern. Das muß ich jetzt alles wiedergutmachen.«
»Du bist wahnsinnig«, sagte Lissandra. Das war das letzte, was sie in ihrem Leben sagte. Kress brannte ihr ein Loch in die Brust, groß genug, um seinen Arm durchzustecken. Er schleifte ihren Leichnam über den Boden und stieß ihn die Kellertreppe hinunter. Die Geräusche wurden lauter. Krachen und Knirschen von Chitin? Echos, die zäh und flüssig klangen. Kress nagelte die Tür wieder zu. Als er floh, war er mit einem tiefen Gefühl der Zufriedenheit erfüllt, das seine Furcht wie eine Schicht Sirup bedeckte.
Er hatte vor, sein Haus zu verlassen, in die Stadt zu fliegen und ein Zimmer für die Nacht oder vielleicht sogar für ein Jahr zu mieten. Statt dessen begann er zu trinken. Er war sich nicht genau sicher, warum. Er trank stundenlang und erbrach alles wieder auf den Wohnzimmerteppich. Irgendwann schlief er ein. Als er erwachte, herrschte rabenschwarze Dunkelheit im Haus.
Er schmiegte sich gegen die Couch. Er konnte Geräusche hören. Es waren Bewegungen in den Wänden, und sie waren überall um ihn herum. Sein Hörvermögen war außergewöhnlich scharf. Jedes leise Knirschen war der Schritt eines Sandkönigs. Er schloß die Augen und wartete, wartete auf ihre schreckliche Berührung, wagte nicht, sich zu bewegen, aus Furcht, gegen einen zu stoßen.
Kress schluchzte, dann herrschte unheimliche Stille.
Die Zeit verstrich, aber nichts geschah.
Er öffnete wieder die Augen. Er zitterte. Langsam begannen sich die Schatten aufzulösen und zu verschwinden. Das Mondlicht suchte sich seinen Weg durch die großen Fenster. Seine Augen glichen sich an.
Das Wohnzimmer war leer. Es gab nichts, nichts, nichts. Nur seine trunkenen Ängste.
Kress streckte sich, stand auf und ging zu einem Lichtschalter.
Nichts. Der Raum war leer. Er lauschte. Nichts. Kein Geräusch. Keine Bewegung in den Wänden. Es war nur seine Phantasie, seine Angst, gewesen.
Die Erinnerung an Lissandra und an das Ding im Keller tauchte plötzlich vor seinem inneren Auge auf. Scham und Wut überkamen ihn. Warum hatte er das getan? Er hätte ihr helfen können, alles zu vernichten, zu töten. Warum... er wußte, warum. Das hatte die Maw bewerkstelligt, sie hatte die Angst in ihn eingepflanzt. Wo hatte gesagt, daß sie PSI-Kräfte besaß, sogar wenn sie klein war. Und nun war sie groß. Sie hatte sich an Cath und Idi gütlich getan, und jetzt hatte sie zwei weitere Leichen da unten. Sie würde weiterwachsen. Und sie hat gelernt, den Geschmack menschlichen Fleisches zu mögen, dachte er.
Er begann zu zittern, aber er fing sich wieder, und es hörte auf. Sie würde ihn nicht verletzen; er war der Gott; die Weißen waren schon immer seine Lieblinge gewesen.
Er erinnerte sich, wie er sie mit seinem Wurfschwert traktiert hatte. Das war gewesen bevor Cath gekommen war. Trotzdem, zum Teufel mit ihr.
Hier konnte er nicht bleiben. Die Maw würde wieder hungrig werden. So groß, wie sie war, würde es nicht lange dauern. Ihr Appetit würde schrecklich sein. Was würde sie dann tun? Er mußte hier weg, zurück in die Sicherheit der Stadt, solange die Maw noch in seinem Weinkeller war. Es gab da unten nur Pflastersteine und zusammengepreßte Erde, die Mobilen konnten einen Tunnel graben. Wenn sie freikamen... Kress wollte nicht daran denken.
Er ging in sein Schlafzimmer und packte. Er nahm drei Taschen. Nur
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