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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Fremde
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sich führte,
was er unterwegs vorhatte, in Gedanken ging er alles durch, seine Tennishose,
die gelbe Brille, die Photographien von Eliz, Manuskripte und eine Abhandlung
eines Schweizer Kollegen über rätische Sprachdenkmäler, die ihn besonders
interessierte und die er auf die Reise mitgenommen
hatte, er fand sie denn auch in seiner kleinen Tasche in Gesellschaft des
Mundwassers und des Rasierumhangs. Nein, offensichtlich hatte er unterwegs von
den mitgeführten Gegenständen nichts verloren.
    So ist das
eben, dachte er mit trauriger Resignation, als die lange nächtliche Reise ihre
betäubende, demütigende Wirkung zu entfalten begann; es fällt einem nicht ein
... Am besten, nichts erzwingen zu wollen. Doch wie eine Sicherheitslampe erinnerte
ihn das Gefühl des Vermissens mit ständigen Signalen daran, daß er am Bahnhof
von München nicht ohne Grund erschrocken war.
    Gegen
Morgen blickte er in der schmutziggrauen und kalten Helligkeit des
Tagesanbruchs hinter seinem schützenden Mantel hervor in die karge
Karstlandschaft hinaus. Der Zug hatte in einer kleinen Station haltgemacht und
tankte Wasser, ein unausgeschlafener Beamter mit zerknittertem Gesicht lehnte,
die rote Dienstmütze auf dem Kopf, die Ellbogen aufgestützt, im Fenster des
Stationsgebäudes, hinter ihm, in der Tiefe des Raums, war das zerwühlte bunt
überzogene Bett zu sehen, ein Hahn krähte, und das ganze Bild trat vage aus der
hoffnungslosen, unerreichbaren Entfernung eines fremden Lebens hervor; da wurde
das mahnende Vermissen derart schmerzlich, daß er in den Speisewagen eilte, wo
für das Frühstück gedeckt wurde, und gegen seine Gewohnheit unmäßig und
reichlich aß, dazu trank er Mineralwasser und anschließend einen Cognac, stets
in der Hoffnung, es könne eine
körperliche Unruhe sein, die ihn quälte, vielleicht eine Abart von Hunger oder
Durst, die er noch nicht kannte. Geht man auf die Fünfzig zu, wenn der Körper
seine erste große Krise erlebt, zeigen sich solche Symptome, überlegte er.
    Dann saß er
noch lange da, die Ellbogen auf dem Tisch, gesättigt, der Durst gestillt, im
leeren und einfältigen Zustand körperlicher und seelischer Wunschlosigkeit. Von
den ungewohnten Getränken und dem üppigen Mahl ein wenig benommen, zündete er
sich in der Dumpfheit der Verdauungstätigkeit eine Zigarre an und starrte in
die pathetische Dürftigkeit der Landschaft, die mit ihren kahlen Gipfeln und
steilen Abhängen auf ihn wirkte wie ein sinnloses, grauenhaft lautes Brüllen.
    Als hätte
er sich einer stärkeren Macht ergeben, stellte er resignierend fest, daß dieses
sinnlose und ärgerliche Gefühl des Vermissens um nichts schwächer
geworden war, mit Hunger und Durst nichts zu tun hatte. Jedes Hoffen war
zwecklos, nun gab es keinen
Zweifel mehr, er hatte unterwegs etwas vergessen, verloren. Apathisch starrte
er vor sich hin, bis die höfliche Geschäftigkeit der Kellner, der geleerte
Aschenbecher auf dem Tisch, ihn darauf aufmerksam machte, daß es angebracht
wäre, aufzustehen und seinen Platz den hungrigen Mitreisenden zu überlassen,
die unrasiert und nach Kölnischwasser riechend zum Frühstück erschienen.
    Als er im
Hafen von Spalato an Bord des nicht übermäßig großen, doch hübschen und
ansehnlichen Schiffs ging, empfing ihn die freudige Nachricht, daß
er seine Kabine mit niemandem teilen mußte, weil der Eigentümer des oberen
Bettes im letzten Moment storniert hatte und es nicht gelungen war, Ersatz zu
finden. Das Schiff war bereit zum Auslaufen, und Askenasi eilte sofort in seine
Kabine, ohne dem im Nieselregen erwachenden Hafen, den Sehenswürdigkeiten des
an diokletianischen Kulissen überreichen Panoramas auch nur die geringste
Beachtung zu schenken.
    Er
bestellte ein Bad, schloß sich in seiner Kabine ein und begann sorgfältig,
Stück für Stück auszupacken. Trotz der langen Fahrt spürte er keine Müdigkeit,
eher Gereiztheit und Traurigkeit – er läutete dem Steward, ließ Mineralwasser
bringen, wies ihn an, einen Liegestuhl an Deck zu reservieren und verhielt
sich ganz so, als würde er sich auf längeres Bleiben einrichten. Seine Kleider
hängte er in den Wandschrank, als wollte er den Ozean überqueren und müßte
keineswegs am nächsten Morgen das Schiff verlassen.
    Ohne Eile
breitete er den Inhalt seiner Gepäckstücke aus, sogar die Hemden faltete er
auseinander. Fast erleichtert entdeckte er, daß er seine Manschettenknöpfe zu
Hause vergessen hatte, überhaupt das ganze Holzkästchen mit der

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