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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Fremde
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Aufschrift
»Erinnerung aus der Tatra«, das mit eingebrannten Rillen verziert war und in
dem er seit einem Jahrzehnt alle möglichen Hemdknöpfe aufbewahrte und
sammelte.
    Aha, das
wird es sein, dachte er fast fröhlich. Und wie jemand, der viel Schlimmeres
befürchtet hat und
jetzt endlich sicher sein kann, daß die Flecken auf seinem Körper kein
Flecktyphus, sondern nur ein harmloser Brennesselausschlag sind, eilte er
gutgelaunt ins Bad, genoß ausgiebig das warme Meerwasser und rasierte sich
sorgfältig. Er holte seine besten, wenngleich ein wenig verdrückten Kleider
hervor, zog die Sportmütze ins Gesicht, wickelte sich ein Wolltuch um den Hals
und eilte, das Fernglas und den rot eingebundenen Reiseführer in der Hand, die
unbequemen Stufen mit der Munterkeit und Gemütsruhe der Münchener Tage hinauf,
um auf dem Deck des auslaufenden Schiffs wenigstens mit einem höflichen Blick
von der vornehmen, im Ruf klassischer Schönheit stehenden Stadt Abschied zu
nehmen.
    Als er auf
der Schiffstreppe seine Taschen nach Zigaretten absuchte, umfaßten seine Finger
in der Gesäßtasche ein flaches längliches Kästchen: Es war die »Erinnerung aus
der Tatra«, vollständig gefüllt, wie er bereits tastend erkannte, mit einer die
langjährige Entwicklung der Hemdknopfproduktion dokumentierenden Kollektion
von Manschetten- und sonstigen Knöpfen, die er in Kaffeehäusern gelegentlich
von aufdringlichen Hausierern erworben hatte.
    Lange sah
er das primitive Kästchen an, verbittert und mit hoffnungslosem
Gesichtsausdruck. Geistesabwesend überhörte er das zaghaft leise, gelispelte
»Pardon« einer älteren Dame, die, gemeinsam mit dem Verkehrshindernis, das
magische Kästchen anstarrte und die verzweifelte Miene des seriösen
und gutgekleideten Herrn nicht deuten konnte.
    Er ließ die
Dame vorbei und stieg hinter ihr langsam die schmale Treppe hinauf, mit
gesenktem Kopf, als wollte er nach zwecklosen Fisimatenten endlich der Wahrheit
ins Auge sehen und sich nicht weiter verteidigen, sondern sich in sein
Schicksal fügen.
    Die
vierundzwanzig Stunden der kurzen Fahrt verbrachte er wach, auch in der Nacht
blieb er an Deck, in einer windgeschützten Ecke auf einem Liegestuhl ausgestreckt,
dösend und aufschreckend, unter sternenklarem, wolkenlosem Himmel. Der warme
Nebel des nächsten Tages löste sich gegen Mittag auf, und eine heiße Brise
wehte über das Wasser; nur der Fahrtwind linderte den entnervenden Druck des
Schirokko.
    Mit kritischem
Blick nahm er das Schiff und den Speisesaal in Augenschein, dessen
altertümliche Vornehmheit ihn an das Erster-Klasse-Zimmer eines
Bahnhofsrestaurants in der österreichischen Provinz erinnerte, sowie den Salon,
wo Ansichtskarten vergangener Jahre unter der Glasplatte eines Tisches lagen,
serbischsprachige satirische Zeitschriften mit Eselsohren der Unterhaltung der
Passagiere dienten und neben den beinahe lebensgroßen Photographien des Königs
und der Königin gerahmte alte Karikaturen des Punch zu sehen waren,
Derby-Szenen und heitere Momente des Lebens auf See; und ihn bedrückte die
bescheidene, belastete und erstickende Provinzialität seiner Umgebung.
Zweifel plagten ihn, ob es wirklich das Beste gewesen war, was er tun konnte,
als er den Überredungsversuchen seiner Freunde nachgab, der Idee dieser »zwei
Wochen an einem ganz kleinen Ort« zustimmte und hierherreiste, an einen
vergessenen Winkel der Welt, wo alles provinziell schien, sogar die Landschaft
und irgendwie selbst das Meer, wo österreichische Bahnhofsrestaurants
plötzlich auftauchten und auf dem Meer schwammen, wo auch nächtens ein heißer
Wind wehte und ihn – das konstatierte er traurig und mit schlechtem Gewissen –
nichts besonders interessierte.
    Er lag auf
dem Rücken, die Hände unter dem Nacken gefaltet, und betrachtete, stundenlang
in Reglosigkeit verharrend, die recht nahe vorbeiziehende Uferlandschaft.
Verkehrsreiche mittelalterliche kleine Städte tauchten auf, die Häuser blendeten
kreideweiß im mittäglichen Sonnenschein, saubere und bekümmerte Städte, hie und
da ein Campanile , und an Häuserfassaden wedelte der venezianische
geflügelte Löwe, den es bis hierher verschlagen hatte, mit seinem Schwanz. In
einem Hafen sah er einen alten Priester, der einen grünen Samthut trug und mit
der Gier alter Menschen eine Orange verspeiste; einfältig starrte er auf das
ankommende Schiff und wischte sich von Zeit zu Zeit mit dem Saum seiner Soutane
den Saft von der Hand. Und über den Gruppen von

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