Sandor Marai
die es fern
von aller Verwandtschaft in die Fremde verschlagen hatte und die nur angelegt
wurden wie ein Harnisch, blieb alles, was die Menschen hierorts beisteuerten,
fremd ... Er empfand Bedauern für sie, doch alles in allem eher
Gleichgültigkeit; mit der herablassenden Überlegenheit des eingeweihten
Literaten wanderte er zwischen den attraktiven, nichtsdestoweniger geliehenen
und nachgeahmten Formen umher.
In der
Nacht nach seiner Ankunft schreckte er aus tiefem Schlaf; erschöpft und in
Schweiß gebadet, lag er zerzaust auf dem Bett, es mochte Mitternacht sein. Er
wankte zum Fenster, noch halb im Schlaf, glaubte ein Notsignal gehört zu haben,
von einem Schiff oder einem brennenden Haus; sich weit aus dem Fenster lehnend,
lauschte er in die Dunkelheit hinaus, in die geschwätzige Nacht einer
Mondfinsternis, er hörte die Laute des Meeres und der Stadt, die in rascher
Folge aus der Dunkelheit zu ihm drangen, sie hatten keinen ins Griechische oder
Lateinische übertragbaren Sinn.
Bis hierher
habe ich es geschafft, dachte er, aber was nun? Seine Ratlosigkeit überraschte
ihn. Die »Erholung«, die ordentliche Erholung an einem »ganz kleinen Ort« nahm
einen seltsamen Verlauf. Er blickte sich in dem dunklen Zimmer um, registrierte
seine Abmessungen wie ein Tier, das in die Falle gegangen ist. Er warf seinen
Schlafanzug von sich und setzte sich nackt an den Tisch, schaltete die Lampe
ein und griff wahllos nach einem Buch, er bekam einen Reisebericht zu fassen,
die ein wenig schwärmerische romanhafte Beschreibung einer Saharaexpedition,
die er aufs Geratewohl zu lesen begann. Der Held der Reise, ein französischer
Fliegeroffizier, berichtet über das unerfreuliche und eigenartige Gefühl, das
ihn inmitten der Ödnis ergreift, als er mit seiner Maschine notlanden muß und
bemerkt, daß der Wasserbehälter unterwegs geborsten und der Inhalt ausgeflossen
ist. Muß unangenehm sein, dachte er zerstreut, als er beim Lesen an diesen
Punkt gelangt war, und schob das in hochtrabend-heroischem Ton geschriebene
Buch mit einer ablehnenden Bewegung zur Seite. Dumme Sache, inmitten der Sahara
ohne einen Tropfen Wasser ... Die australischen Ureinwohner trinken in solchen
Fällen Blut, fällt ihm ein.
Im Halbschlaf,
hin und her schweifend zwischen den Bildern seiner Phantasie, die in lockerer
Anordnung vorbeizogen, taumelte er fast mit seinen Gedanken. Bei einzelnen
Worten blieb er hängen, betrachtete ausgiebig ihre Gestalt, sah die Buchstaben
wie ein Bild. Durst, dachte er, das Wort gefiel ihm, er übersetzte es ins
Deutsche, Englische und Französische und verglich den Klang. Ungarisch ist es
am schönsten, entschied er, dieser langgezogene, verzweifelte Vokal in der
Mitte ... Mit ausgedörrter Kehle ging
er zum Waschbecken, ließ Wasser und einige Tropfen Mundwasser in das Glas
rinnen und gurgelte umständlich. Dann stellte er sich wieder ans Fenster. Die
durstige Trockenheit, der unangenehme Geschmack im Mund war nicht vergangen.
Bis hierher
habe ich es geschafft, dachte er wieder. Reisen lehrt Demut. Manch einer fährt
in die Sahara. Er zündete sich eine Zigarette an und fühlte sich auf einmal
beruhigt. Weiterreisen hat keinen Sinn, entschied er. Ich habe einen
Kunstfehler begangen und muß von vorn anfangen. Er legte sich wieder aufs Bett
und betrachtete das sich in der Dunkelheit vage abzeichnende Viereck des
Fensters, die dahinter schwach schimmernde Nacht und dachte, als würde er mit
jemandem sprechen, in wohlgeformten, runden Sätzen: Ich bin meiner Verantwortung
entbunden. Was menschenmöglich ist, habe ich getan. Meine Pflicht ist erfüllt.
Ohne Zweifel bin ich sehr katholisch.
Daran
dachte er in diesem Moment zum ersten Mal, und das überraschte ihn. Ich habe
alle meine Verpflichtungen erfüllt. Zumindest habe ich dem Kaiser gegeben, was
des Kaisers ist ... unbedingt, entschied er. Und ich bin verreist, zur
Erholung. Jetzt geht es nicht mehr darum, was meine Pflicht ist, jetzt muß
gerettet werden, was zu retten ist. Lange lag er so da. Mit geweiteten Augen in
die Dunkelheit starrend, dachte er schließlich, als würde er auf der Polizei
ein Geständnis diktieren, mit scharfer und entschiedener Betonung: Es ist zweifelsfrei
erwiesen, daß ich ungeachtet meines guten Willens und
wider besseres Wissen nicht ohne sie leben kann. Wie schade.
Er zog ein
letztes Mal an der Zigarette, drückte den glühenden Stummel auf der
Marmorplatte des Nachttischs sorgfältig aus, drehte sich zur Wand und schlief
sofort
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