Sandor Marai
ein.
***
Er
erwachte spät am
Morgen, setzte sich sogleich an den Tisch und schrieb drei Briefe. Der erste
war an die Tänzerin gerichtet, kurz gefaßt und fast höflich, in der verkürzten
Gaunersprache der Intimität, doch ohne besonderen Überschwang, beinahe geschäftsmäßig
und sachlich; er ließ sie wissen, daß ihre Prophezeiung eingetroffen sei, sie
habe ihr Ziel erreicht, und auch er für seinen Teil habe jeden Widerstand
aufgegeben; er habe sich überzeugt, daß die Bindung, in die er geraten sei
(dieses Wort verwendete er zur Charakterisierung ihres Verhältnisses), nicht
dem Einfluß seines Willens und seiner Einsicht unterliege, sondern schicksalhaft
für ihn sei; er müsse nun aus dieser Erkenntnis die Konsequenzen ziehen; er
reiche gleichzeitig die Scheidung ein und bitte sie, seine Frau zu werden. Auf
jeden Fall war es ein merkwürdiger Brief; als er ihn las, war er überrascht,
denn er fand kein einziges Attribut der Zärtlichkeit darin.
Den zweiten
Brief schrieb er an seine Frau, viel freundlicher und wärmer; von seinem
Entschluß, den zu erklären überflüssig sei, weil sie die Gründe vielleicht
am besten kenne, sprach er wie von einem gemeinsamen Unglück, das sie in
gleicher Weise betreffe – er dachte an ihre kleine Tochter.
Und noch
ein kürzerer Brief an seinen Freund, den jungen Rechtsanwalt, den er mit der
Erledigung der Scheidung betraute; er bat um eine schnelle Abwicklung, ohne
Rücksicht auf die Bedingungen.
Er
versendete die Briefe per Luftpost und verbrachte drei Tage des Wartens in
ungeduldiger, gespannter Verfassung. Zur Mittagszeit des vierten Tages rief er
in Paris an. Die Zofe hob ab; während des sechsminütigen Gesprächs erfuhr er,
daß Eliz vor zwei Wochen mit dem spanischen Impresario, an dessen Namen er sich
aus ihren Gesprächen dunkel und beiläufig erinnerte, nach São Paulo gereist
sei. Auch die Zofe selbst packte, sie wartete nur auf das Telegramm, daß sie
nachkommen solle. Nein, Madame habe ihr keine Briefe anvertraut. Auch keine
Botschaft. Was wünsche der Herr? Nein, wenn sie es doch sage, Madame habe
nichts hinterlassen.
***
Er hatte
die Tänzerin vor
Jahren kennengelernt, »unter unwürdigen Umständen«, wie er sich später zu
überzeugen suchte; die Umstände waren selbstverständlich nur eines so
großartigen und besonderen Mannes »unwürdig«, als welcher sich Askenasi in dem
Moment erwies, als er die Konsequenzen aus der Bekanntschaft zog. An dem
Widerstand, den seine
engste Umgebung, später der Kreis der Berufskollegen und Freunde, schlicht sein
ganzes Lebensumfeld gegen die »Katastrophe« an den Tag legte, konnte er die
wahre Bedeutung seiner Person ermessen, und im nachhinein wunderte er sich, daß
er nicht dem Größenwahn verfiel: Denn alle Argumente für und wider die
Verbindung zusammengenommen, hätte er sich wahrlich als ägyptischer Prinz
fühlen können, dessen jeder Ehebund unwürdig ist, es sei denn, er schließe ihn
mit dem fürstlichen Geblüt seiner eigenen Schwestern. Er mußte glauben, daß die
ganze Gesellschaft mobil mache, zur Rettung Viktor Askenasis, dieses außergewöhnlichen
und wunderbaren Exemplars der menschlichen Gattung. Und dieser Auserwählte,
seiner Pflichten der Menschheit gegenüber vergessend, hatte sich irgendeiner
schändlichen und widerwärtigen Leidenschaft zum Opfer gebracht. Allerdings
hatte er selbst dieser Begegnung in der ersten Zeit keine so schicksalhafte
Bedeutung beigemessen und nicht mehr davon verstanden, als daß er im Alter von
siebenundvierzig Jahren nach einer, was die Liebe betrifft, ziemlich freudlosen
Vergangenheit und einem in Disziplin und Arbeit verbrachten Leben eine Frau
getroffen hatte, die ihm, wenn auch nicht unter den günstigsten Bedingungen,
unvergleichlich mehr bedeutete als alle Frauen, die er bis dahin gekannt
hatte, eine Frau, in deren Gesellschaft er sich körperlich verjüngte und sich
manchmal nahezu glücklich fühlte.
Dieser
einfachen Tatsache, der körperlichen Leidenschaft eines alternden und in einer
Krise steckenden
Mannes für eine junge Frau, einem Unfall, wie er in der Menschheitsgeschichte
schon öfter passiert war, selbst mit solch hervorragenden Männern wie Askenasi,
legte seine Umgebung viel größeres Gewicht bei.
Eine
Zeitlang erfreute sich sein »Fall« selbst jenseits der Grenzen seiner kleinen
Welt derartiger Popularität, daß es ihn nicht verwundert hätte, morgens in der
Zeitung etwas darüber zu finden. Es bedurfte einiger Zeit, bis er begriff,
Weitere Kostenlose Bücher