Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Fremde
Vom Netzwerk:
auf der Insel hörte. Die Sonne war nicht
mehr zu sehen, doch das Meer warf noch kurze Zeit die Brechung des Dämmerlichts
zurück und glänzte grau, wie auseinanderkullerndes Quecksilber. Es war nicht
mehr Tag und noch nicht Abend; der Himmel über ihm war leer, er sah keine
Himmelskörper, weder Mond noch Sterne; es war hell, doch auf so seltsame Weise
wie vielleicht unter dem Meeresspiegel.
    In dieser
erschreckenden, ungewöhnlichen Beleuchtung, oben auf dem höchsten Punkt der
Insel, fühlte er sich zum ersten Mal in seinem Leben allein. Die neue Situation
überraschte ihn. Seine Bekannten hielten ihn im allgemeinen für einen »einsamen
Menschen«. Jetzt schien es ihm, daß er bis jetzt keine Ahnung von der
Einsamkeit hatte, vom Moment seiner Geburt an hatte er im Trubel gelebt. Das war endlich die Einsamkeit, hier umgab sie ihn, diese farblose, mit jedem
Augenblick blasser
werdende Helligkeit, diese dicke, ölige Stille und unten das Meer, dessen
unüberschaubare Oberfläche die Leere des Himmels spiegelte; und er klammerte
sich endlich an diesen festen Punkt, wie ein Schiffbrüchiger an eine Klippe.
Die umgebenden Kiefern bildeten eine kleine Lichtung, in deren Mitte sich ein
niedriger Felsen befand, ein Steinquader, ähnlich einem heidnischen Opferaltar;
der Weg dorthin war von einer dicken, weichen Schicht verfaulter Nadeln
bedeckt.
    Endlich
allein, dachte er und streckte sich. Die Überraschung der Einsamkeit wich einem
nie gekannten Sicherheitsgefühl. Alles erschien ihm bekannt, er blickte mit
der Behaglichkeit des Besitzers umher, der nach langen Wanderjahren endlich in
die eigene Welt zurückkehrt, wo er nach menschlichem und göttlichem Gesetz das
Recht hat, zu bleiben. Niemand kann ihn vertreiben, und es gibt keine andere
Ordnung, kein anderes Gesetz, als er selbst festgelegt hat.
    Zaghaft
begann er, sich in diesem neuen Heim zwischen Meer und Himmel zu bewegen. Wie
bekannt, dachte er. Er näherte sich den Kiefern, klopfte gegen ihre Stämme,
lernte diese einsamen und bescheidenen Gewächse kennen. Die Stadt entzündete
ihre ersten flimmernden Lichter; er trat zu dem Felsen und sah unverwandt zu
den bauchigen Basteien, den abwehrenden Formen hinüber – durch Jahrhunderte
schien sich die Stadt im Jammer von Furcht und Sorge auf das überfüllte,
eifersüchtig umfriedete Territorium zusammengedrängt zu haben, und
all ihr Bemühen war, der feindlichen Welt möglichst wenig Angriffsfläche zu
bieten. Hinter den Basteien standen die Häuser, innerhalb deren die Menschen
noch von Toren und Türen beschützt wurden, und hinter den Türen, in verschlossenen
Schubladen und eisenbeschlagenen Schränken, verbarg sich, worum man Sorge haben
mußte – alles an dieser Stadt war Verteidigung, mit ihren gepanzerten,
krummrückigen Bastionen duckte sie sich nach Schildkrötenart in den Sand, und
Askenasi betrachtete sie voll Mitleid.
    Sein Kopf
war unbedeckt, er badete seine schweißnasse Stirn in der erfrischenden Brise,
die hier oben ständig wehte. Das Meer wirkte von hier aus öde – ausgeplündert
war es und verlassen.
    Er
bedauerte es, während er mit verschränkten Armen auf das Wasser hinausblickte.
Das Meer kann nicht leiden, dachte er verwundert und wandte seinen Blick lange
nicht ab. Aber was mag die Schöpfung dann mit ihm bezweckt haben? Diese leere
Welt, der jeder Verstand schon vor Urzeiten den Rücken gekehrt hatte, breitete
sich gleichgültig vor ihm aus. Nur der Verstand kann weh tun , dachte er
noch. Der Schmerz tummelte sich dort drüben am Ufer, hinter den dickleibigen
Basteien, wo er mit seinen Lichteraugen zwinkerte und blinzelte; doch hier,
zwischen Wasser und Himmel, war er selbst der letzte Nerv, der noch zuckte und
fühlte; weitum Gleichgültigkeit und Dunkel.
    Er
hüstelte; rasch hielt er die Hand vor den Mund, denn der Laut brandete mit
vielfachem Echo in der sonderbaren
Stille auf; jede Bewegung, das Geräusch seiner Schritte, die unter seinen
Sohlen knirschenden Steine, wirkte wie ein Dröhnen, als wäre hier oben eine
unsichtbare Verstärkeranlage aufgebaut, die jeden seiner Atemzüge als
Donnerlaut in die Welt hinaustrug. Er bewegte sich leise und vorsichtig; er
setzte sich auf den viereckigen Felsen und lauschte aufs Meer hinaus. Ein
fremder Text, dachte er. Eine amorphe Sprache. Vielleicht hat sie nicht einmal
eine Konjugation. Nur einen Rhythmus ... Und als würde er plötzlich einzelne
Worte einer wildfremden Sprache zu verstehen beginnen, neigte er sich vor und
horchte

Weitere Kostenlose Bücher