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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Nacht vor der Scheidung
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Teppich und weinten. So traf Trude sie
an. Unterdessen kroch Teddy in Christophs Zimmer unter dem Sofa hervor und
führte sich ganz seltsam auf. »Wir lassen ihm etwas Brom verschreiben«, warf
Christoph verächtlich ein. Aber es gelang ihm nicht, Teddys sonderbares
Benehmen mit dieser ironischen Bemerkung abzutun.
    Hertha fuhr in dem Bericht über den
nervösen Teddy unbeirrt fort. Der Hund sträubte das Fell und blieb mit
gespreizten Beinen in der Mitte des Zimmers stehen, er heulte leise, und das Weiß seiner Augen glänzte in richtig
»negerhaftem Grauen« – beim Vernehmen dieses Attributs übergroßer Angst ließ
Christoph mißbilligendes Zischen hören –, ja, also der Hund spitzte die
Ohren, ließ sich weder durch Rufe noch durch Würfelzucker beruhigen, lief immer
wieder zur Tür und schnupperte verzweifelt, als erwartete er jemanden. Es war
widernatürlich und erschreckend. »Vielleicht hat er sich den Magen verdorben«,
meinte Christoph nachsichtig, »und wollte nur auf die Straße gehen.« Doch nein,
auffallend war ja gerade, daß er die Wohnung nicht verlassen wollte, denn die
Aufforderung zum Spaziergang war vergeblich, und später kroch er wieder unter
das Sofa und heulte und murrte dort weiter, auch schnappte er nach Trudes
Hand. Sicher, das Tier spürte etwas.
    Nun gingen sie schon an der alten
Kirche vorbei. Die Zeiger der nur schwach beleuchteten Turmuhr sagten: Elf.
Christoph war plötzlich sehr müde. Noch einige Schritte, und sie wären zu
Hause. Teddy hätte sich mittlerweile hoffentlich beruhigt, Gabriel und Esther
würden auch schon in ihren Bettchen liegen und das aufregende
Gesellschaftsspiel um die »Drei kleinen Schweinchen« vergessen haben – es
überkam ihn plötzlich der lebhafte Wunsch, in seinem Zimmer allein zu bleiben,
die Tür zu schließen und sich im Lichtkreis der Tischlampe niederzulassen, an
nichts denken zu müssen und völlig ausruhen zu können – den Tag einfach zu
vergessen.
    Morgen würde hoffentlich alles
weniger mit Nervosität geladen sein. Möglicherweise verspürte auch er den
Witterungswechsel. Er hörte Hertha zerstreut zu: Jetzt sprach sie schon wieder
mit spöttisch überlegenem Ton über den Zustand der Kinder und des Hundes. Sie
sprach aber jedenfalls mit mehr Eifer, als es ein solch häuslicher Tumult
verdiente. »Du magst mich auslachen«, sagte sie und ließ Christophs Arm los,
»aber es war fast so, als hätten sie etwas gespürt – weiß der Kuckuck –, jeder
schwatzt jetzt vom Krieg, von Katastrophen, nur gut, daß man uns keinen Kometen
verspricht. Davon aber konnten sie nichts wissen – weder Gabriel noch Esther,
noch Teddy –, sie alle lesen die Zeitung nicht.«
    Sie gingen unter den Kastanienbäumen
die breite Straße entlang, die zu ihrer Wohnung führte. Im Gasthaus an der Ecke
wurde Most ausgeschenkt, am Fahrweg lag hellbraunes Laub. Christoph ging
langsam, Hertha einen halben Schritt hinter ihm. Ja, manchmal kam es eben vor,
daß Mensch und Tier nervös waren – sicherlich hatte dies nicht immer einen
erkennbaren Grund. Von »negerhaftem Grauen« wollte Christoph nichts wissen.
Jedenfalls ersuchte er Hertha, in den nächsten Tagen die Verdauung der Kinder
zu beobachten. Und was Teddy betraf – hier machte Christoph eine mißbilligende
Geste –, solle sich am besten niemand sorgen.
    Christoph griff in seine Tasche und
entnahm ihr den Torschlüssel. Hertha lehnte
sich an die Mauer und blickte zum Himmel hinauf, der heute funkelnd und
sternklar war wie in wolkenlosen Hochsommernächten. »Und doch spürten sie
etwas«, sagte sie leise und hartnäckig. Aber sie gähnte schon beim Sprechen.
Christoph antwortete ihr nicht, ließ sie vorgehen, und nach einem letzten
Blick auf den merkwürdig hellen Himmel schloß er umständlich das Tor. Dabei
dachte er erleichtert, daß nun dieser sonderbare und ungewöhnliche, dieser »nervöse«
Tag endlich zu Ende ging. Nun begann die Nacht.

11
    Im Vorzimmer brennt Licht. Trude
sitzt auf der altdeutschen Holztruhe, die Hertha aus der bayerischen
Sommerfrische mitgebracht hat. Das Mädchen kauert schläfrig auf dem Deckel
dieses bunten Möbels. »Ein Herr wartet auf den Herrn Richter«, teilt sie ihnen
beinahe schuldbewußt mit. Sie wendet ihr sommersprossiges steirisches
Bauerngesicht vertraulich den Eintretenden zu.
    Trude ist
»Familienmitglied«, ihr Vater ist Postmeister in Mürzzuschlag und sendet zu
Ostern und Weihnachten immer die gleiche Ansichtskarte: einen Farbdruck, der
die

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