Sandor Marai
Grund
für diesen Besuch. Ich stehe ganz zu deiner Verfügung«, und er weist auf
den Sessel. »Ja, es ist ernst«, sagt der Arzt einfach, setzt sich aber nicht,
sondern fährt fort: »Dann kam ich her, es war vielleicht gegen neun Uhr. Das
Mädchen sagte, daß ihr bald heimkommen würdet. So habe ich gewartet – bitte
verzeih mir, aber ich konnte nicht anders. Ich muß dich sprechen. Noch heute
nacht. Ich fürchte, es wird nicht so einfach sein. Ich bin gekommen, weil ich
dir alles erzählen will.«
Christoph legt die Hand mit einer
spontan väterlichen Geste auf seine Schulter, nimmt sie aber gleich wieder
weg. »Natürlich«, sagt er unsicher, »bitte, wie du willst. Aber du bist sehr
aufgeregt, wäre es vielleicht nicht doch besser morgen ... hier, oder im Amt
... was immer auch vorgefallen ist, das heißt, bis du dich beruhigt hast ...«
Nun aber ist es er selbst, der aufgeregt ist. Der Arzt ist ruhig und schlicht.
»Nein, morgen wird es bereits zu spät sein«, sagt er gleichmütig, »im Amt kann
ich es nicht mehr erzählen. Spätestens heute nacht. Es betrifft nämlich ein
wenig auch ... dich!«
Kömüves fühlt, daß er erbleicht.
Diese Worte wirken so unmittelbar auf ihn wie eine körperliche Berührung.
»Mich? Das kann ich mir nicht vorstellen ...!« Der Arzt nickt verständnisvoll.
»Ja, man sollte es nicht für möglich halten, aber es ist so.«
»Heute morgen dachte ich mir das
auch noch nicht«, er setzte seine Worte in diesem gelassenen, erzählenden Ton fort. »Ja, ich
dachte tatsächlich nicht, daß ich am Abend vor dir stehen würde. Weißt du
übrigens, daß wir ganz in deiner Nähe wohnen? Zwei Straßen weiter – in der
Pfeffergasse.« Er teilt dies mit, als wäre es eine gute Nachricht, als könnte
sie den Gastgeber beruhigen oder erheitern, und die Absicht, zu beschwichtigen,
ist auch in seiner Stimme zu spüren. »Ich merkte erst jetzt, unterwegs, daß
auch ihr in dieser Gegend wohnt. Ist das nicht eigentümlich?«
Christoph verwandelt sich jetzt
wieder in den tadellosen Gastgeber. »Ja, wahrhaftig«, entgegnet er freundlich.
»Man lebt nebeneinander und hat keine Ahnung davon«, der Arzt sagt es mit
überraschendem Pathos und lacht ein wenig gezwungen. »In der ersten Zeit
dachte ich oft an dich. Ich wußte, daß du der Richter sein würdest, der mich
von Anna trennt.« Und da Christoph schweigt: »Du kennst ja den Fall? Ich rede
über Anna, meine Frau.« Der Richter nickt zurückhaltend. »Die Akten sind bei
dir. Der Termin wurde für morgen festgesetzt ...« Kömüves betrachtet seine
Schuhe, blickt zu Boden: »Ja«, sagt er abweisend, »wenn du aber darüber reden
willst ... über welche Dienstangelegenheit auch immer ... Vielleicht wäre es
doch besser, die Sache auf dem Amtswege vorzutragen ...«
Der Arzt geht nun im Zimmer auf und
ab, als wäre er zu Hause. Er kreuzt die Hände auf dem Rücken und neigt den
Oberkörper stark vor. Dieses Benehmen setzt Christoph
wieder in Erstaunen. Nun betrachtet er den Freund eingehend: Der Körper ist
schmächtig; feingliedrige, energische Hände hat er – er trägt einen dunkelblauen
Anzug, schwarze Schuhe, und seine Erscheinung ist ein wenig feierlich. Die Züge
sind scharf, die Wangen hohl, die Augen sind sehr kalt. Imre Greiner ist einen
Kopf kleiner als Christoph. Jetzt bleibt er stehen, blickt flüchtig auf den
Richter, starrt dann zur Decke und sagt vor sich hin: »Die Verhandlung kann morgen
nicht stattfinden.« Christoph beeilt sich, ihn zu ermuntern: »Bitte, wenn ich
etwas für dich –« Der Arzt aber fällt ihm ins Wort, bevor er den Satz noch zu
Ende führen kann, und ohne Betonung wiederholt er stumpf: »Die Verhandlung kann
nämlich morgen nicht stattfinden, weil ich heute meine Frau getötet habe.« In
gebückter Haltung und sehr aufmerksam starrt er wieder zu Boden.
12
Kömüves geht zur Kinderzimmertür und
lauscht angespannt. Von drinnen hört er Herthas leise, ruhige Stimme – sie
spricht mit den Kindern. Dann wird es still. Die Standuhr auf dem Sekretär
zeigt nach zwölf. Christoph geht auf sein Zimmer zu, öffnet die Tür und
bedeutet dem Arzt mit leichter Gebärde, hineinzukommen. Im Zimmer empfängt sie
die Unordnung des Nachmittags; auf dem Sofa liegt noch das Plaid, womit er sich
nach dem Essen beim Zeitunglesen und Schlummern zudeckt, auf dem Schreibtisch
sind offene Akten und ein Aschenbecher mit Zigarettenresten.
Er setzt sich an den Schreibtisch,
schiebt einige Gegenstände zurecht, nimmt ein dolchartiges
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