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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Nacht vor der Scheidung
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Stadteil schon im Schlaf. Mit
geübtem Blick suchte Christoph die Fenster ihrer Wohnung – zwei Fenster waren
erleuchtet. »Die Kinder sind noch wach«, sagte er. »Die Kinder waren heute
überhaupt unruhig«, erwiderte Hertha. »Nun, morgen fängt ja die Schule an.
Aber heute waren sie schwer zu bändigen. Auch Trude war ihnen nicht gewachsen,
und selbst das Märchen vom Grünen Jäger konnte nicht helfen. Sogar Teddy war
unruhig.«
    Christoph entzündete eine Zigarette
und fragte mit freundlichem Spott, wie Teddys Unruhe sich geäußert habe. Teddy
war der Hund – ein nicht mehr junger, fortwährend zitternder Airedaleterrier –,
den man, wie Christoph ironisch und ein wenig ungerecht zu sagen pflegte, zu
»nichts verwenden konnte«. Diese Feststellung erregte jedesmal Herthas Widerspruch.
Sie konnte sich mit dieser praktischen Anschauung nicht abfinden und verstand
nicht, warum ein Lebewesen durchaus zu etwas »verwendet« werden müsse.
Christoph aber mochte dieses empfindsame und zimperliche Tier, wie er Teddy zu
nennen pflegte, nicht sehr. Für ihn gab es nur einen Hund: den Jagdhund mit
dichtem, zottigem Fell, mächtigem Brustkorb und hängenden Ohren. Das Wort
»Hund« weckte in ihm die Sehnsucht nach einem verlorenen Paradies, und er
verband damit eine unklare Vorstellung von einem von Slibowitz, Feldern,
Äckern, naßkalten Frühmorgenstunden und Jagdflinten erfüllten Herrenleben.
    Hertha verstand dieses Verlangen
sofort, zergliederte es und bewies stets, wieviel Unechtes und »Gentryhaftes«
in solchen Vorstellungen läge. Sie liebte diese Art von Menschen nicht und
erwähnte mit eigensinniger Übertreibung immer wieder »karierte Reithosen«, wenn
von einem »Gentry« die Rede war. Aber klug und wohlwollend verzieh sie
gleichzeitig seine sentimentale Sehnsucht.
    Christoph ging in der Dunkelheit
jetzt lächelnd an ihrer Seite und ließ es ruhig zu, daß ihm »karierte
Reithosen« vorgeworfen wurden. Ja, sie hatten Verständnis füreinander. Diese
kleinen Wünsche gehörten schließlich doch auch zu Christoph, so mußte sie ihn
hinnehmen mit seinen nervösen Zuständen und Wünschen, die sie zwar unerbittlich zergliederte und
aus der dunklen Begierde der Unterwelt emporhob, dann aber doch achselzuckend
verzieh. »Ja, Teddy war auch nervös«, wiederholte sie, »am Nachmittag stand
überhaupt das ganze Haus auf dem Kopf ...« – »Auf dem Kopf, welche
Übertreibung«, verwies Christoph sie freundlich mit zielbewußter Pedanterie,
da die unbeugsame Genauigkeit die einzige Waffe gegen Herthas Worte war.
    »Und was war der Grund für dieses
häusliche Erdbeben?« erkundigte sich nun das geduldige Familienoberhaupt. Der
Grund? Da begann Hertha gleich zu deklamieren. Es gebe schließlich viele Dinge
auf Erden, die keinen aktenmäßig beweisbaren Grund haben. Es fing gleich nach
dem Mittagessen an, als Christoph fortgegangen war. Gabriel wollte nicht schlafen
und weckte mit seinem Gequietsche Esther aus dem Schlaf, dann drehten sie im
verdunkelten Kinderzimmer das Licht an und wollten »Drei kleine Schweinchen«
spielen, es fehlte aber der Dritte. Trude, das Mädchen, bügelte gerade, sie
hatte nicht Zeit, und sie selbst, Hertha, hatte nach dem Essen bereits das
zweite Pulver eingenommen, diese warmen Herbsttage jagten ihr seit einiger
Zeit das Blut in den Kopf, sie ertrug den Wechsel der Jahreszeiten immer
schwerer, wurde immer gereizter, scheinbar begann sie zu altern. Nun
widersprach Christoph mit zerstreuter Höflichkeit – aber Hertha wiederholte
eigensinnig, daß sie alt werde. Sie vertrage überhaupt keine
Änderung mehr, könne es nicht leiden, wenn man im Zimmer ein Möbel vom Platz
verrücke, und würde am liebsten eine Tagesordnung vorschreiben, die
unabhänderlich sein sollte wie der Kalender Gregorians. Sie mochte diesen fortwährenden
Programmwechsel der Natur nicht. »Programmwechsel ...«, sagte Christoph leise
und vorwurfsvoll, dieser Ausdruck gehörte auch zu Herthas Übertreibungen. Aber
Hertha bat Christoph, sich mit diesen Übertreibungen abzufinden; ohne eine
gewisse gutmütige Frivolität, Leichtigkeit und Übertreibung wäre das Dasein
vielleicht gar nicht erträglich. Genauer und pedantischer ausgedrückt: Man
könne vielleicht auch ohne dies leben, nur lohne es sich nicht. Nun aber handle
es sich wohl nicht darum, sondern um Gabriel und Esther, die kein drittes
»kleines Schweinchen« gefunden hatten. Sie löschten also das Licht wieder,
setzten sich im dunklen Zimmer auf den

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