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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Nacht vor der Scheidung
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Feindes einzureiten. Er
blickte nur vor sich hin, hörte dem Gespräch sehr ernst zu und nickte manchmal.
Ja, wenn es zum Krieg kommen sollte, würde Brüderlein still, ernst und
bereitwillig ins Feld ziehen und überall zugegen sein, wohin man ihn befehlen
würde. Still und bereitwillig würde er seine Verletzungen ertragen oder fallen
und doch bis zum letzten Augenblick nicht sagen, wie er über all dies dachte.
    Auch jetzt hörte er den anderen zu,
als wäre er kein Fachmann des Sturms und Gefechts; so aufmerksam und höflich
lauschte er, als wäre er der einzige Zivilist im Kreise. »Liebes Brüderlein«,
dachte Christoph, und er hatte den Wunsch, ihm seine Zuneigung irgendwie zu zeigen.
Aber die Kömüves zeigten ihre Gefühle nicht, und Brüderlein würde
wahrscheinlich sehr erstaunt sein über eine überschwängliche Äußerung von
Christoph. Auch Christoph liebte Herzensergüsse nicht.
    Ja, er war heute wohl recht nervös –
das war alles. Das
Flimmern vor den Augen, das Schwindelgefühl – dies alles waren Zeichen, daß
ihn die Disziplin verlassen hatte. Das sollte nicht sein. Und während
Brüderlein schwieg und die anderen wohlgefällig einen breiten Vortrag über den
Krieg hielten, stellte er verwundert fest, wie gut alle diese Lektion kannten.
Es war, als wäre der Krieg auf einmal gar nicht mehr so entfernt und
unbegreiflich, wie er es gestern noch war. Es sehnte ihn sicher niemand herbei
und er war noch ganz weit weg, Meere und Gebirge erstreckten sich noch
zwischen Krieg und Frieden, man feilschte noch über ihn und erläuterte ihn
noch. Wie würde er beginnen, dieser moderne Krieg? Wer würde daran teilnehmen,
und gegen wen würde er geführt werden? Man konnte sich eine tausend Kilo
schwere Bombe nicht vorstellen, auch nicht die Wirkung der Gase – all dies war
unwahrscheinlich und vor allem sehr sinnlos, es lag sicher in niemandes
Interesse. Man konnte sich schwerlich vorstellen, daß man ruhig in einem
Zimmer saß, gemütlich plauderte und im nächsten Augenblick London oder der
Blocksberg zu existieren aufhörten. Das war freilich eine ganz lächerliche
Vorstellung. Nein, es konnte doch keine Rede sein vom Krieg, zumindest nicht
so, wie ihn die Schwätzer und Schwarzseher der Kaffeehäuser sich dachten –
überall lächelte der Friede, wenn auch ein wenig gezwungen und säuerlich; die
Zeichen wirtschaftlicher Konjunktur waren überall ersichtlich, die Zivilisation blühte
und wurde immer vollkommener.
    »Der Krieg
wird wahrscheinlich so beginnen ...«, alle sprachen durcheinander, es war ein
Gewirr von Worten. Christoph horchte mit einemmal nervös auf, als hätte er
blitzartig etwas verstanden. Ganz plötzlich begriff er: Der Krieg begann immer
damit, daß die Menschen in ihren Zimmern saßen, sich über ihre täglichen
Sorgen, Hoffnungen und Wünsche unterhielten, und plötzlich ließ jemand das Wort
»Krieg« fallen. Daraufhin hörten sie nicht zu reden auf, sie starrten einander
nicht in stummem Entsetzen an, sondern sie erwiderten in allen Tonarten mit
natürlichem Tonfall das Wort »Krieg« – und sie redeten darüber, ob dies möglich
wäre, und wann und in welchem Maße. So begann er immer. Irgendwo in der Ferne,
weit weg von allen sichtbaren Ereignissen.
    Selbstverständlich begann er in der
Seele des Menschen, und bis er sich zum Kriegsschauplatz wandelte, mit Kanonen,
Toten und qualmenden Ruinen, hatten sich die Menschen schon damit abgefunden.
Emma berichtete mit ein wenig Spott und Verachtung in der Stimme, daß es
bereits Menschen gäbe, die Mineralwasser, Salami, Mehl und Petroleum horteten;
andere wieder mieteten sich in der Provinz, weitab von den Städten, ein Haus,
weil sie Angst vor den Giftgasen hatten. All dies war sicher sehr lächerlich
und dumm. Christoph wiegte den Kopf wie einer, der diese Vorsorge für
sinnlos hielt, sie aber dennoch versteht. Scheinbar fing der Krieg auch damit
an, daß Salami und Petroleum in den Vorratskammern zusammengetragen wurden und
daß erschrockene Leute ein Haus auf dem Lande mieteten.
    Am Nebentisch saß ein Herr, den
Christoph nur entfernt kannte, es war ein Redakteur, Herausgeber einer
geistlichen Zeitschrift. Christoph erinnerte sich auch, seinen Namen unter Buchkritiken
gelesen zu haben. Nun erklärte der Redakteur vernehmlich, daß ein Mann, der
von christlicher Moral erfüllt sei, sich nur mit geläuterter Seele, ergeben
und demütig, auf den Krieg vorbereiten dürfe, wer Furcht habe und seine Haut
retten wolle, sei ein

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