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Sandor Marai

Sandor Marai

Titel: Sandor Marai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Nacht vor der Scheidung
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Papiermesser aus
Messing in die Hand und spielt damit, dann packt er das stumpfe Messer mit festem
Griff und stützt sich mit dem Ellbogen auf den Tisch. Gern möchte er sich eine
Zigarette anzünden, wagt es aber nicht. Einige Minuten vorher noch hoffte er,
daß Imre Greiner verrückt geworden sei und im Wahnsinn rede. Was er da gesagt hatte, konnte ja nicht wahr
sein – man durfte nur nicht widersprechen, dann würde er nach einer Weile schon
wieder zu sich kommen. Jetzt aber weiß es der Richter ganz ohne Beweise, daß
jedes Wort wahr ist und daß dieser Mann, der mit gekrümmtem Rücken vor ihm
sitzt, die Arme auf die Knie gestützt, das Antlitz in den Händen vergraben,
tatsächlich seine Frau getötet hat.
    »Anna Fazekas ist tot«, denkt
Christoph und versucht, sich das Gesicht der toten Frau vorzustellen. Aber
auch jetzt noch sieht er immer nur jenes andere Antlitz, das sich im Halbdunkel
auf der Insel für einige Augenblicke ihm zuwendet. Ja, es war damals, als hätte
sie etwas fragen oder antworten wollen. Er empfindet keine besondere
Erschütterung. Er empfindet gar nichts. »Das muß man jetzt ertragen«, denkt er,
»ich muß ihn anhören. Wenn es wahr ist ... Es ist leider wahr.«
    Der Arzt holt eine silberne
Tabakdose hervor, rollt sich mit geübten Fingern eine Zigarette. Kömüves
reicht ihm Feuer. »Danke«, sagt der Arzt. Christoph erinnert sich, daß die Angeklagten
mit dieser selbstvergessenen Gier vor dem Untersuchungsrichter zu rauchen pflegen,
eingefleischte Verbrecher, die nach langer Untersuchungshaft vor den Richter
geführt werden und denen während des Verhörs das Rauchen von einer oder zwei
Zigaretten gestattet wird. Er selbst will sich keine Zigarette anzünden, er
hat das Gefühl, daß sich das jetzt nicht schickt. Es ist beinahe so, als
befände er sich auf dem Stuhl des Angeklagten. Wahrscheinlich harrt hier eine
Aufgabe seiner, er muß vielleicht urteilen, Feststellungen machen. So wird er
wieder zum Richter. Er lehnt sich mit verschränkten Armen im Sessel zurück,
aber die Finger umklammern noch immer das Papiermesser. Lange Zeit verharrt er
in dieser beobachtenden unnahbaren Haltung.
    »Hier ist ein Mensch«, denkt er
jetzt. Der Arzt kauert ihm gegenüber, den Kopf in die Handflächen gestützt, das
Muster des Teppichs betrachtend. Nun hebt er vorsichtig und beinahe neugierig
den Kopf und blickt sich im Zimmer um. Der Richter folgt seinem Blick. Dem
Schreibtisch gegenüber schaut aus einem geschnitzten vergoldeten Rahmen das
Bildnis seines Großvaters »Christophs des Ersten« herab. Barbàs hat das Bild
gemalt; romantische Schule. Das Antlitz, die strengen, ironisch blickenden
Augen, die schmalen, feingeschnittenen, zusammengepreßten Lippen erinnern an
einen Geistlichen des achtzehnten Jahrhunderts. Dieser Mann dort oben gleicht
einem Abbé. Lange betrachtet der Arzt die kluge Stirn, die gescheiten,
spöttisch-verständigen Augen.
    An der Wand lehnen in den Regalen
die dicken, reichvergoldeten schweinsledernen Bände des Corpus juris; die
Zeiger der alten Pendeluhr stehen still. Der Arzt studiert den Raum, in dem
dieser Richter lebt, er will diesen Mann erforschen.
Beide studieren einander, und sie fühlen sich ähnlich dem Reisenden, der
unterwegs unerwartet einen nur wenig gekannten, seit langem nicht vernommenen
Städtenamen an der Fassade des Bahnhofsgebäudes erblickt. Was für ein Leben
verbirgt sich hinter diesem Namen? Gibt es dort noch Ordnungen oder nur ein ungehemmtes,
eigenwillig urwüchsiges Dasein?
    Und da sie
nun einer des anderen Art zu ergründen trachten, hat der Richter plötzlich das
Gefühl, daß der »Fall«, der ihm hier unterbreitet werden soll, vielleicht doch
nicht seine Sache ist. Ist das Ganze nicht einfach regelwidrig? Das Urteil in
diesem Prozeß – im Scheidungsprozeß zweier Menschen – wollte er morgen vormittag
aussprechen, aber was soll er hier, mitten in der Nacht, in der Wohnung, wo im
übernächsten Zimmer die Kinder schlafen, hier, gegenüber dem Bildnis seines
Großvaters?
    Auch legte
ja einer der Beteiligten eben das Geständnis ab, den anderen Beteiligten getötet
zu haben! Steif, mit verschränkten Armen, schaut er den »Angeklagten« an. Er
ist nun die »Kömüves-Schule« in Person. »Das ist wohl nicht meine Sache«, denkt
er. »Wenn er sie tatsächlich getötet hat, erwächst aus diesem Bekenntnis ein
Strafprozeß, und das ist die Angelegenheit eines anderen Richters. Ich bin
nicht Strafrichter.« Und doch hat er das dunkle

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