Sandra und die Stimme der Fremden
ich ihn ja leider im Haus behalten“, fügte sie bedauernd hinzu.
„Sind noch weitere Mahnungen eingegangen?“
„Liegt alles auf der Waschkommode. Ich weiß nicht, was es ist. Hab die Briefe nicht aufgemacht“, erwiderte die Katzen-Marie und häufte Quark auf eine mit Marmelade bestrichene Brotscheibe.
Sandra holte die Post aus dem Schlafzimmer und schlitzte die Umschläge mit einem Messer auf, während Joschi Frau Arnold beim Essen Gesellschaft leistete.
„Mahnung..., Mahnung..., Rechnung..., Mahnung“, berichtete Sandra, den Inhalt der Sendungen prüfend.
Plötzlich stutzte sie. „Hier ist ein amtliches Schreiben vom Gesundheitsamt, Frau Arnold!“
Die Katzen-Marie leckte heruntergetropfte Marmelade von ihrem Daumen ab.
„Frau Arnold! Das kommt vom Gesundheitsamt!“ wiederholte Sandra nachdrücklich.
„Ist sicher falsch adressiert“, vermutete die Katzen-Marie.
„Wie alles, was hier eingeht“, sagte Joschi und lachte als einziger über seinen Witz.
Sandra öffnete den Umschlag, zog das Schreiben heraus und überflog die an Frau Marie-Loise Arnold gerichtete Mitteilung. „Sie sollen von einem Arzt besucht werden, Frau Arnold!“
„Unsinn! Hab nach keinem Doktor geschickt“, brummte die Katzen-Marie.
„Aber hier steht es. Er kommt am achtzehnten Oktober, um fünfzehn Uhr dreißig...“ Sandra hielt entsetzt inne. „Frau Arnold!“ schrie sie. „Heute ist der achtzehnte! Er kann jeden Moment hier sein. Wie spät ist es, Joschi?“
Joschi blickte auf seine Armbanduhr. „Sechzehn nach drei.“
„Frau Arnold, Sie müssen sich umziehen. Wir sollten ein bißchen hier saubermachen. Die Hunde müssen raus. Am besten sperren wir Plus ins Schlafzimmer. Glauben Sie, daß er es da allein aushält, ohne zuviel Lärm zu schlagen?“ fragte Sandra aufgeregt.
Frau Arnold tauchte gleichmütig den Löffel in die Marmelade. „Ich hab keinen Doktor bestellt. Ich mach nicht auf“, sagte sie stur.
„Sie müssen ihn empfangen, Frau Arnold! Es ist ein... ein Psychiater, ein Nervenarzt“, erläuterte Sandra. „Hier steht, wenn Sie seinen Besuch ablehnen, wird man verfügen, daß Sie in einer Psychiatrischen Klinik untersucht werden.“
„Ein Seelenklempner! Wer hat sich denn so was ausgedacht?“ fragte Joschi bestürzt.
„Auf Antrag, steht hier.“ Sandra blickte Joschi bedeutungsvoll an. „Lauf rüber und sag Herrn Seibold Bescheid.“
„Ja“, sagte die Katzen-Marie grimmig und stemmte sich vom Stuhl hoch. „Er soll herkommen. Geh und hol Herrn Seibold, Joschi.“
Sandra und Joschi blickten einander betreten an.
„Das geht nicht. Herr Seibold ist... Er ist krank“, erklärte Sandra ausweichend.
„Dann empfange ich den Doktor nicht. Dann bin ich auch krank“, sagte die Katzen-Marie störrisch.
Sandra schüttelte verzweifelt den Kopf. „Das hat doch keinen Sinn, Frau Arnold. Der Doktor möchte ja auch nur mit Ihnen reden. Er möchte feststellen, ob Sie geistig gesund sind.“
„Bin ich das etwa nicht?“
„Natürlich sind Sie das. Er kommt nur, um festzustellen, ob Sie in Ihrem Alter noch allein zurechtkommen. Ich bleibe bei Ihnen. In Ihrer Nähe. Bitte, ziehen Sie sich um, Frau Arnold“, redete Sandra der alten Frau zu.
„Nun lauf doch schon rüber, Joschi, und frag, was wir tun sollen. Beeil dich!“ drängte sie den Freund.
Doch als Joschi sich schon an der Tür zum Hof befand, rief sie ihn zurück. „Nein, bleib hier, Joschi! Treib die Hühner und Enten in ihre Umzäunungen. Und fang die Hasen ein. Sperre sie in ihre Ställe. Und räum draußen ein bißchen auf. Sammle die herumliegenden Gartengeräte ein, du siehst schon.“
„In der kurzen Zeit?“ Joschi faßte sich an den Kopf, während er hinausrannte. Sandra mußte wahnsinnig geworden sein. Um alle ihre Aufträge zu erledigen, brauchte es Stunden.
„Wozu die Umstände?“ brummte die Katzen-Marie und stellte unwillig das schmutzige Geschirr zusammen.
„Lassen Sie das Zeug stehen. Ich räume den Tisch ab. Soll ich Ihnen schon Badewasser einlassen, Frau Arnold?“ fragte Sandra.
„Wozu soll ich baden? Heute ist doch nicht Samstag — oder?“ fragte die Katzen-Marie verwirrt.
„Nein, heute ist Donnerstag. Aber der Doktor...“
„Du sagst doch, er will nur mit mir reden?“
„Ja, doch! Aber
„Na, also! Baden am Donnerstag!“ sagte die Katzen-Marie entrüstet.
„Dann ziehen Sie wenigstens ein frisches Kleid an. Ich mache inzwischen hier sauber. Und dann bürste ich Ihnen die Haare“, sagte Sandra
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