Sands, Lynsay - HG 128 - Doppelspiel aus Liebe
Charlie eine flehentliche Stimme. „Bitte! Man gestattet mir nicht, nach meinem Ehemann zu suchen. Könnten Sie nicht bitte noch einmal hineingehen und ihn für mich herausholen? Ich wäre Ihnen ja so dankbar!“
Charlie drehte sich nach der leisen, eindringlichen Stimme um. Es handelte sich um die Frau, die schon bei ihrem Eintreffen vor der Tür um Einlass gebettelt hatte.
„Ihr Ehemann?“ Charlie blickte von dem Knaben, der sich am Rock der Frau festhielt, zu dem ernsten Mädchen, welches ihre Hand umklammerte, „Ja. Er …“ Ihre Lippen bebten, dann schüttelte sie verzweifelt den Kopf. „Er ist da drinnen und verspielt unser ganzes Leben. Dabei will er es doch gar nicht. Ich glaube nicht, dass er es wirklich tun will, doch er kann nichts dagegen tun.
Vor einem halben Jahr verloren wir unseren Gasthof wegen seiner Schulden, und da zogen wir in die Stadt. Er nahm eine Arbeit als Kutscher an, und ich fand eine Stellung als Hilfsköchin in einer Gastwirtschaft hier. So schlagen wir uns durch, dachte ich, ich kaufe die Lebensmittel, und er bezahlt die Miete.
Jedenfalls sollte er das tun, doch heute fand ich heraus, dass er die Miete gar nicht bezahlt hat. Als ich heimkam, versperrte der Hauswirt mir den Eingang. Mein Ehemann ist die Miete für drei Monate schuldig geblieben, und wenn er sie nicht nachzahlt, setzt man uns auf die Straße. Nicht einmal unsere Sachen dürfen wir mitnehmen. Und heute ist Zahltag. Ich weiß, dass er das Mietgeld bei sich hat und es in diesen Minuten verspielt. Bitte, bitte! Wenn Sie ihn nur herausholen würden, damit ich ihm das mit dem Hauswirt erzählen kann. Dann hört er mit dem Spielen auf, das weiß ich genau.“
Charlie betrachtete die Frau mit dem sauberen, schlichten Gewand und die Kinder in der ordentlichen, wenn auch billigen Bekleidung und ihre sauberen Gesichter. Ihr Herz sank. „Ist Ihr Ehemann sehr groß und mager?“ erkundigte sie sich.
„Jawohl. Haben Sie ihn dort drinnen gesehen?“ fragte die Frau voller Hoffnung.
Charlie vermutete, dass es sich bei dem Ehemann um den Großen, Dünnen und Verzweifelten handelte, um den Mann, der seine letzten Münzen verspielt hatte. Die Sorgen der Frau würden also noch größer werden. Deren Blick fiel jetzt auf den Hut voller Münzen, den Charlie in Händen hielt. Natürlich könnte sie ihr mühelos das Mietgeld geben, doch falls es sich bei dem Ehemann tatsächlich um den Großen, Dünnen und Verzweifelten handelte, könnte er jeden Moment herauskommen, und wenn er dann das Geld in die Finger bekäme, würde er es abermals beim Glücksspiel verlieren. Vielleicht sollte sie der Familie lieber nach Haus folgen und die Miete selbst bezahlen, oder …
„Da ist er! Papa, Papa!“
Als der Knabe so glücklich losschrie, schrak Charlie zusammen und sah den Mann aus der Spielhalle treten. Es war tatsächlich der Große, Dünne und Verzweifelte. Hier draußen sah er noch schlimmer aus als drinnen. Er war aschfahl im Gesicht und schaute seine Familie mit leeren Augen an, während er langsam auf sie zuging.
Charlie wich zurück, als die Frau sofort von dem Hauswirt berichtete. „Hast du das Geld für die Miete?“ wollte sie wissen.
Er umarmte seine Kinder und flüsterte ihnen etwas zu, schien indes der Frau gar nicht zuzuhören. Als diese ihre Frage wiederholte, richtete er sich auf, und bei seinem Anblick lief es Charlie eiskalt über den Rücken.
Er umf asste das Gesicht der Frau und küsste sie beinahe andächtig.
„Es tut mir Leid. Ich liebe dich“, flüsterte er. Dann ließ er sie los und trat zurück. Er schenkte ihr noch ein seltsames Lächeln, drehte sich um und trat auf die Straße hinaus -direkt vor einen vorbeikommenden Vierspänner.
12. KAPITEL
„Papa!“
Als Charlie den herzzerreißenden Schrei hörte, blickte sie zu den Kindern hinunter und erkannte, dass dies das letzte Bild war, welches sie von ihrem Vater sehen würden.
Fluchend stopfte sie den Hut in ihre Tasche, drehte die Kinder um und drückte deren Gesichter gegen ihren Gehrock, um sie auf diese Weise vor dem schrecklichen Anblick zu bewahren. Allerdings vermochte sie ihnen die Ohren nicht zuzuhalten. Sie fühlte, wie die beiden Kinder vor Entsetzen zitterten und zu weinen begannen, während ringsum die Panikschreie von Pferden und Menschen zu hören waren.
Radcliffe war dem Mann noch nachgelaufen, um ihn zurückzureißen, doch die Pferde waren schneller gewesen als er. Jetzt kniete er sich neben den zerschundenen Körper. Sein blasses
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