Sanft berührt – und schon verführt?
gefangen zu sein. Unterwegs atmete er sehr viel freier. Dennoch musste er zugeben, dass es ihn immer wieder nach Wolff Mountain zurückzog, trotz der schlimmen Erinnerungen an die Vergangenheit.
Ein Grund dafür waren seine Brüder, mit denen er hier stets die meiste Zeit verbrachte. Sie aßen im „großen“ Haus zusammen, und Kieran lernte Gareths neue Frau Gracie kennen. Noch nie hatte Kieran den älteren Bruder so glücklich erlebt, und es war mehr als offensichtlich, dass er seine junge Frau anbetete.
Am Vormittag unternahm Kieran mit Gareth Wanderungen in die Berge. Nach dem Lunch half er Jacob beim Erweiterungsbau seiner Praxis. Die körperliche Anstrengung tat ihm gut. Nur wenn er sich tagsüber bis zur Erschöpfung abarbeitete, konnte er nachts schlafen. Doch selbst dann träumte er … und wie.
Natürlich nur von Olivia. Sie in seinem Bett, unter ihm, ihr prachtvolles Haar über das Kopfkissen gebreitet wie ein dunkler glänzender Fluss mit goldenen Sonnenreflexen, die honigfarbene Haut weich und einladend, als wartete sie nur darauf, von ihm liebkost und geküsst zu werden, überall …
Auch früher hatte er schon von Olivia geträumt, nach ihrer Trennung sogar sehr oft. Aber dann hatte er versucht, sie zu vergessen, besser gesagt, so zu tun, als existiere sie gar. Nur so hatte er weiterleben können.
Doch seit er wusste, dass sie bald unter einem Dach leben würden, waren die Erinnerungen mit aller Macht hervorgebrochen. Alles war wieder da. Es kam ihm so vor, als hätte er in den letzten Tagen mehr kalte Duschen nehmen müssen als in seiner gesamten Pubertät, denn er brauchte nur an Olivia zu denken, und schon war er voll erregt. Und er fragte sich allmählich, ob die Sache mit seiner Tochter nicht bloß ein Vorwand war, um wieder mit ihrer Mutter zusammen zu sein, der Frau, die er nie hatte vergessen können.
Olivia kam jedoch nicht, um mit ihm ins Bett zu gehen, das hatte sie nur zu deutlich gemacht. Sie kam lediglich für ein einziges Wochenende mit Cammie zu Besuch. Und das nur, weil er ihr mit der richterlichen Anordnung einer DNA-Analyse gedroht hatte. Deshalb quälte ihn auch ein schlechtes Gewissen.
Andererseits regte ihn Olivias Starrköpfigkeit auf. Warum konnte sie nicht zugeben, dass sie in der kurzen Zeit, die sie zusammen gewesen waren, gemeinsam Leben geschaffen hatten? Er wusste mit ziemlicher Sicherheit, dass es so war, aber er wollte, dass Olivia es ihm sagte, dass sie es ihm gegenüber aussprach.
Ein Kind in seinem Leben würde alles verändern. Selbst wenn er in irgendwelchen gottverlassenen Gegenden der Welt unterwegs war, könnte er dann davon träumen, zu etwas zurückzukehren, das ihm gehörte, zu seinem Kind, das ihn liebte und ihm mit ausgebreiteten Armen entgegenkam.
Sicher, seine Familie liebte ihn auf ihre Art und Weise. Aber sobald er nach Wolff Mountain zurückkehrte, überfielen ihn all die schmerzlichen Erinnerungen. Deshalb kam er nur selten in sein Elternhaus zurück. Denn hier musste er unaufhörlich an seine Mutter denken und an das, was sie ertragen hatte. Dann fühlte er sich wieder so hilflos wie damals, als sie starb. Es hatte auf den Vierjährigen einen unauslöschlichen Eindruck gemacht, zu sehen, wie der Vater und die Brüder, wie der Onkel und dessen Kinder weinten und sich kaum je beruhigen konnten. Denn er hatte geglaubt, dass Männer nie weinten, besonders nicht sein starker Vater, den doch eigentlich nichts erschüttern konnte. Er war verwirrt gewesen und voller Angst.
Als die Erwachsenen am Tag der Beerdigung das Haus verließen, hatte er so getan, als wolle er einen Nachmittagsschlaf machen. Während seine Nanny mit ihrem Freund telefoniert hatte, war er in das Schlafzimmer seiner Eltern gegangen, hatte den Kleiderschrank der Mutter aufgemacht und ihre Sachen von den Bügeln gezogen, bis er von einer Mauer aus Stoff umgeben gewesen war. Es hatte so tröstlich nach ihr gerochen, und während ihm die Tränen über die Wangen gelaufen waren, hatte er sich auf den Stoffberg gelegt und war unter Schluchzen eingeschlafen.
Immer wenn er nach Wolff Mountain zurückkehrte, war ihm, als zöge jemand gewaltsam ein Pflaster von der Wunde, die nie verheilen wollte. Er erinnerte sich, wie man ihn am Beerdigungstag in dem Schlafzimmer entdeckt hatte. Keiner hatte ihn gescholten, keiner gefragt, warum er das getan hatte. Aber als er drei Tage später erneut in das Zimmer geschlichen war, war alles, was an die Mutter erinnert hatte, weggeräumt. Selbst die
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