Sanft kommt der Tod
Unterrichts.
Natürlich hatte sie keine schicke Privatschule mit hochmodernem Lehrmaterial, blitzsauberen Klassenzimmern, hübschen Uniformen sowie einem Lehrer-Schüler-Schlüssel von eins zu sechs besucht.
Sie würde ihren nächsten Gehaltsscheck darauf verwetten, dass es in der Sarah Child Akademie keine Faustkämpfe in den Fluren und keine selbstgebastelten Sprengsätze in den Schließfächern gab.
Heute allerdings gab es zumindest einen Mord.
Während sie in Moseblys mit echten Grünpflanzen und einem hübschen Teegeschirr ausnehmend behaglichem Büro auf das erste Mädchen wartete, ging sie kurz die Personalien des Opfers durch.
Craig Foster, sechsundzwanzig Jahre. Keine Vorstrafen. Beide Eltern lebten noch und waren noch miteinander verheiratet. Sie lebten in New Jersey, wo der Sohn geboren und aufgewachsen war. Dann war er mit einem Teilstipendium an die Columbia-Universität gegangen, hatte dort sein Lehrerexamen gemacht und war dort, da er noch seinen Master in Geschichte hatte machen wollen, noch immer immatrikuliert.
Im Juli letzten Jahres hatte er Lissette Bolviar geehelicht.
Auf dem Foto sah er frisch und eifrig aus. Ein hübscher junger Mann mit einem klaren Teint in der Farbe gerösteter Kastanien, mit seelenvollen dunklen Augen sowie dunklem, an den Seiten und im Nacken kurz geschorenem und oben auf dem Kopf hochgebürstetem Haar.
Auch seine Schuhe waren echt modern, erinnerte sie sich. Schwarz-silberne, knöchelhohe geschnürte Gelboots. Nicht gerade billig, dachte sie. Wohingegen seine schmutzig braune Sportjacke an den Aufschlägen schon ziemlich abgewetzt gewesen war. Er trug eine anständige Uhr - sicher eine Kopie des Originals - und am Ringfinger der linken Hand blitzte ein goldener Ring.
Sie nahm an, wenn Peabody mit ihrer Arbeit fertig wäre, würde sie ihr sagen, dass in seinen Taschen nur ein bisschen Klimpergeld gewesen war.
Eilig schrieb sie sich ein paar Stichworte auf.
Woher war die heiße Schokolade gekommen?
Wer hatte Zugriff auf den Thermosbecher gehabt?
Hatte Craig den Raum vielleicht mit jemandem geteilt?
Wer hatte das Opfer wann zum letzten Mal lebend gesehen, und wer hatte den Leichnam entdeckt?
Gab es irgendwelche Versicherungspolicen, vielleicht eine Lebensversicherung? Wenn ja, wer bekäme dann das Geld?
Als die Tür geöffnet wurde, sah sie auf.
»Lieutenant?« Als Mosebly den Raum betrat, lag ihre Hand auf der Schulter eines dünnen, jungen Mädchens mit milchig weißer Haut, Sommersprossen und dazu passendem langem, zu einem glatten Zopf gekämmtem, karottenrotem Haar.
Zitternd stand die Kleine in ihrem marineblauen Blazer und der makellosen Khakihose da.
»Melodie, dies ist Lieutenant Dallas von der Polizei. Sie muss mit dir sprechen. Lieutenant Dallas, dies ist Melodies Mutter, Angela Miles-Branch.«
Die Kleine hatte Haar und Haut von ihrer Mom geerbt, bemerkte Eve. Und Mom sah nicht weniger erschüttert aus als sie.
»Lieutenant, ich frage mich, ob dieses Gespräch vielleicht bis morgen warten kann. Ich würde Melodie jetzt gerne erst mal mit nach Hause nehmen.« Ihre Hand lag wie ein Schraubstock um die Hand von ihrem Kind. »Meine Tochter fühlt sich nicht wohl. Was ja wohl verständlich ist.«
»Es ist für uns alle leichter, wenn wir dieses Gespräch jetzt gleich führen. Es wird bestimmt nicht lange dauern. Wenn Sie uns entschuldigen würden, Ms Mosebly ...«
»Ich denke, als Vertreterin der Schule und des Kindes bleibe ich am besten hier.«
»Wir brauchen niemanden von der Schule, und als Vertreterin des Kindes ist die Mutter da. Lassen Sie uns also bitte allein.«
Moseblys Blick verriet, dass sie mit diesem Vorschlag alles andere als einverstanden war, doch sie presste die Lippen aufeinander und verließ den Raum.
»Warum setzt du dich nicht, Melodie?«
Aus jedem ihrer großen blauen Augen quoll eine fette Träne. »Ja, Ma'am. Mom?«
»Ich bin hier.« Ohne ihre Tochter loszulassen, nahm Angela neben der Kleinen Platz. »Diese Sache hat sie furchtbar mitgenommen.«
»Das verstehe ich. Melodie, ich werde unsere Unterhaltung aufnehmen.«
Wieder kullerten zwei Tränen über Melodies Gesicht, und Eve fragte sich, warum in aller Welt sie nicht den Tatort übernommen hatte und Peabody hier bei dem Mädchen saß.
»Warum erzählst du mir nicht einfach, was passiert ist?«, fragte sie.
»Wir sind in Mr Fosters Klasse gegangen - hm, Rayleen und ich. Wir haben erst mal angeklopft, weil die Tür geschlossen war. Aber Mr Foster hat
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