Sanft sollst du brennen
viel zu enge Cocktailkleid zu zwängen. Isabel, die jüngste, unterstützte sie bei diesem Vorhaben, aber das tat sie immer. Schließlich hatte Kate um des lieben Friedens willen nachgegeben und das Seidenkleid angezogen. Wenn die zwei nämlich richtig in Fahrt gerieten, legte man sich besser nicht mit ihnen an.
Kate stand vor dem Spiegel in der Diele und zupfte am Büstenhalter, damit er ihr nicht so auf die Rippen drückte, aber ihre Mühen waren vergebens. Sie warf einen Blick auf die Uhr und beschloss, dass sie noch Zeit hatte, sich umzuziehen, aber gerade, als sie wieder in ihr Zimmer gehen wollte, kam Kiera die Treppe herunter.
»Du siehst großartig aus«, sagte ihre Schwester und musterte sie anerkennend von Kopf bis Fuß.
»Und du siehst müde aus«, stellte Kate fest. Kiera hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie hatte gerade geduscht, und ihre blonden Haare waren tropfnass. Sie hat sie wahrscheinlich noch nicht einmal abgetrocknet, dachte Kate. Selbst ungeschminkt war Kiera wunderschön. Sie war eine natürliche Schönheit, wie einst ihre Mutter.
»Ich studiere Medizin und muss so aussehen, als ob ich nicht genug Schlaf bekäme. Wenn mir das nicht gelingt, werfen Sie mich hinaus.«
Trotz der Neckereien war Kate froh, wieder mit ihren beiden Schwestern zusammen zu sein, auch wenn es nur für zwei Wochen war. Sie hatten sich nach dem Tod ihrer Mutter nicht oft gesehen. Kate war nach Boston zurückgekehrt, um zu promovieren, und Kiera hatte ihr Medizinstudium in Duke wieder aufgenommen, während Isabel bei ihrer Tante Nora geblieben war.
Mittlerweile lebte Kate wieder permanent zu Hause, aber Kiera würde in zwei Wochen nach Duke zurückkehren, und Isabel würde aufs College gehen. Aber Veränderungen waren wohl unvermeidlich. Das Leben musste weitergehen.
»Du solltest dir mal einen Tag freinehmen und an den Strand gehen, damit du dich mal ein bisschen entspannst«, schlug Kate vor. »Nimm doch Isabel mit.«
Kiera lachte. »Netter Versuch. Du schaffst es nicht, sie mir aufzuhalsen, und wenn es nur für einen Tag ist. Ich wäre die ganze Zeit über damit beschäftigt, die Jungs abzuwehren, die hinter ihr her sind. Nein, vielen Dank. Ich finde schon die Anrufe schlimm genug. Vor allem diesen Reece. Er scheint sich für Isabels Freund zu halten. Isabel hat gesagt, sie hätten ein paar Konzerte zusammen gesungen und seien auch ein paarmal miteinander ausgegangen, aber das sei nichts Ernstes. Als er mehr von ihr wollte, hat sie sich zurückgezogen. Und jetzt ruft er ständig an und will sie sprechen, aber Isabel weigert sich, ans Telefon zu gehen. Ich liebe Isabel wirklich, aber manchmal kann sie einem echt das Leben schwer machen. Also, du hast es bestimmt lieb gemeint, aber nein, vielen Dank.«
Kate zupfte erneut an ihrem Büstenhalter.
»Dieses Ding bringt mich um. Ich kriege keine Luft.«
»Du siehst aber toll aus, und das ist viel wichtiger, als zu atmen«, entgegnete Kiera. »Komm, gib dir Mühe. Es ist für eine gute Sache.«
»Was für eine Sache?«
»Für dich. Isabel und ich sind finster entschlossen, dich aufzuheitern. Du bist viel zu ernst. Ich glaube ja, du leidest am Sandwichkind-Syndrom. Du weißt schon, du steckst voller Unsicherheiten und Ängste und musst dich ständig beweisen.«
Kate hörte gar nicht hin. Sie ergriff ihre kleine henkellose Handtasche und trat an den Schrank.
»Über dieses Thema sind zahlreiche medizinische Fachbücher geschrieben worden«, fuhr Kiera fort.
»Wie schön.«
»Du hörst mir gar nicht zu, was?«
Die Antwort blieb Kate erspart, weil in diesem Moment das Telefon klingelte. Während Kiera in den Wohnraum lief, um dranzugehen, holte sie ihren Regenmantel aus dem Garderobenschrank. In der Küche lief der Fernseher, und sie hörte, wie dieser unverschämt fröhliche Wettermensch die Zuschauer daran erinnerte, dass Charleston von einer Hitzewelle heimgesucht wurde, wie die Stadt sie seit dreißig Jahren nicht mehr erlebt hatte. Wenn die Temperatur noch zwei Tage lang so hoch blieb, dann wäre das ein neuer Rekord. Bei der Aussicht überschlug sich die Stimme des Reporters beinahe vor Aufregung.
Am schlimmsten war allerdings die Feuchtigkeit. Die Luft fühlte sich schwer und drückend an, zäh wie Leim. Der Asphalt dampfte, und die ganze Stadt lag unter einer Dunstglocke aus Abgasen. Ein starker Windstoß würde helfen, aber weder Regen noch Wind waren vorausgesagt. Schon das Atmen bereitete Mühe, und die stickige Luft belastete Jung und Alt. Alle
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