Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
dir dann was Frisches an.«
»Kommt nicht infrage. Ich gehe nicht in die Schule.« Cassie ließ sich auf einen Stuhl in der Ecke fallen. Sie hatte dunkle Ränder um die Augen und konnte nach dem späten Rendezvous der vergangenen Nacht ein Gähnen nicht unterdrücken.
»Du gehst. Kennst du das alte Sprichwort: Früh übt sich, was ein Meister werden will?«
»Versteh ich nicht.«
»O doch.«
»Na gut, aber das ist bescheuert.«
»Mag sein, aber heute Morgen ist es dein Motto.«
Cassie verdrehte die Augen und trank einen Schluck von ihrem Saft, rührte den Muffin auf ihrem Teller jedoch nicht an. Critter ließ sich unter dem Tisch nieder und legte den Kopf auf Cassies Knie. Sie schien es gar nicht zu bemerken.
»Du und ich, wir haben noch ein Wörtchen miteinander zu reden. So etwas wie letzte Nacht wird nicht wieder vorkommen. Ich will nicht, dass du dich aus dem Haus schleichst. Nie wieder. Es ist gefährlich.«
»Das sagst du nur, weil du Josh nicht ausstehen kannst.«
»Darüber haben wir doch gestern Nacht schon gesprochen. Es geht nicht darum, dass ich etwas gegen Josh habe.« Auch wenn sein IQ niedriger ist als seine Schuhgröße. »Aber mir gefällt es nicht, dass er dich manipuliert.«
»Tut er ja gar nicht.«
»Und falls ihr beiden Sex habt …«
»O Gott. Erspar mir das.«
»… muss ich es wissen.«
»Das geht dich nichts an.«
»Natürlich geht es mich was an. Du bist minderjährig.«
»Können wir vielleicht später darüber reden? Oder noch besser gar nicht?« Cassie warf ihrer Mutter einen finsteren Blick zu, als fände sie, Jenna sei unglaublich altmodisch. Was nach Jennas eigener Meinung durchaus zutreffen mochte. Doch sie musste behutsam vorgehen, sonst würde sie das Gegenteil von dem erreichen, was sie wollte, und Cassie dem geilen Josh Sykes geradewegs in die offenen Arme treiben. Jenna sah auf die Küchenuhr, die anzeigte, wie die Sekunden ihres Lebens verrannen. »Gut, später. Nach der Schule, wenn wir mehr Zeit haben.«
»Toll. Genau das, was wir brauchen: mehr Zeit«, brummte Cassie, während Jenna – die der Ansicht war, die Wahl des geeigneten Zeitpunkts zähle zu den wichtigsten Fähigkeiten im Leben – die Küche verließ und die Konfrontation damit bis zum Abend auf Eis legte. Sie ging den kurzen Flur entlang zur Treppe. »Allie? Bist du wach?«
Schritte ertönten, und gleich darauf kam Allie, noch im Pyjama, in die Küche geschlurft. Ihr rotblondes Haar sah wüst aus, ihr Koboldgesichtchen trug eine Oscar-würdige Leidensmiene. »Mir geht es nicht gut.«
»Was fehlt dir denn?«, fragte Jenna, obwohl sie ahnte, dass es nichts war. Solche Szenen erlebte sie neuerdings häufiger mit ihrer Zwölfjährigen. Allie war nie gern zur Schule gegangen. Sie war intelligent, aber ein verträumtes Kind, das einfach nicht ins System passte – eines von denen, die sich in der Schule genauso fehl am Platze fühlten wie auf dem Mond. Aber sie musste sich nun einmal anstrengen, das Beste daraus zu machen.
»Halsschmerzen«, klagte Allie und gab sich alle Mühe, krank auszusehen.
»Lass mal sehen.«
Gehorsam öffnete Allie den Mund, und Jenna blickte ihr in den offenbar völlig gesunden Rachen. »Kein bisschen gerötet.«
»Es tut aber weh«, jammerte Allie kläglich.
»Das wird sicher gleich besser. Iss dein Frühstück.«
»Ich kann nicht.« Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen, verschränkte die Arme auf dem Tisch und vergrub das Gesicht in der Beuge. » Dad würde mich niemals zwingen, zur Schule zu gehen, wenn ich krank bin.«
Ich auch nicht , dachte Jenna, nahm den Köder jedoch nicht auf und verkniff sich eine passende Bemerkung über Robert Kramer und seine nicht gerade berückenden Leistungen als Vater. Allie sah ihre Mutter finster an und ignorierte demonstrativ ihr Frühstück.
Perfekt. Jenna blickte auf die Uhr. Der Morgen hatte unerfreulich begonnen und entwickelte sich zusehends unerfreulicher, dabei war es noch nicht mal acht. Sie mochte gar nicht daran denken, was der Rest des Tages noch bringen würde. Sie ließ die Mädchen am Tisch sitzen, prüfte die Wasserhähne im gesamten Haus und kam zu dem Schluss, dass Cassie Recht hatte: Es gab kein Wasser. Als sie wieder die Küche betrat, war Leben in Allie gekommen. Sie ließ die Muffins unbeachtet, denn sie hatte eine Packung tiefgefrorener Waffeln entdeckt und schob gerade zwei in den Toaster. Anscheinend war ihr Appetit doch mächtiger als ihre Halsschmerzen.
Cassie trank ihren Saft und starrte auf den
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