Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
können gemeinsam nachsehen, ob etwas gestohlen worden ist, und wenn ja, was.«
Wes blinzelte, riss sich zusammen, aber trotzdem lag eine Spur von Panik in seinem Blick, die er zu verbergen suchte. »Vielleicht habe ich mich geirrt.«
»Du bist nicht sicher?«
»Zum Teufel, Shane, ich bin mir über gar nichts mehr sicher.« Er verschränkte die Arme vor der Brust.
»Willkommen im Club. Und jetzt fahre ich nach Hause, es sei denn, du brauchst mich noch.«
»Ich finde es ein bisschen merkwürdig, dass du mich mitten in der Nacht hierher zitierst.«
Carter zog eine Braue hoch und spielte seinen Trumpf aus. »Vielleicht solltest du lieber nicht mehr fahren.«
»Wieso?«
»Du stinkst wie eine ganze Brauerei.«
Wes kniff die Augen zusammen. »Willst du jetzt etwa einen Alkoholtest machen?«, fragte er leise. »Deine Behörde lockt mich unter irgendwelchen Vorwänden hier heraus, und dann willst du mich auch noch ins Röhrchen blasen lassen. Was zum Teufel soll das alles, Shane? Willst du mir was anhängen?«
»Ich habe dir gesagt, was passiert ist.«
»Und ich glaube dir nicht.«
Carter seufzte und rieb sich den Nacken. »Ich möchte mich nicht gezwungen sehen …«
»Du musst dich zu gar nichts gezwungen sehen, Shane. Zu überhaupt nichts, verdammt noch mal. Ich fahre jetzt einfach nach Hause, und wir vergessen die Sache.« Er löste sich vom Schreibtisch und nahm seine Schlüssel von der Platte.
Carter gab vor zu überlegen.
Wes ging zur Tür. »Es ist spät geworden.«
»Stimmt.« Carter zog die Lippen zwischen die Zähne, als grübelte er über alle Last der Welt nach, dann fing er Wes’ skeptischen Blick auf und hielt ihn fest.
»Schluss für heute.«
Carter nickte bedächtig, schien immer noch zu überlegen. »Hör zu. Du machst den Laden dicht, fährst nach Hause, schaust nach, ob etwas gestohlen wurde, und wenn ja, rufst du mich an. Ich schicke dir einen Deputy, oder du lässt in meinem Büro ein Protokoll aufnehmen.«
»Großartige Idee«, brummte Wes und öffnete die Tür. Eisiger Wind fegte in das Büro. Carter ging hinaus zu seinem Wagen.
»Fahr vorsichtig«, rief er, als glaubte er wirklich, Wes sei betrunken. Er wusste es besser, erkannte wohl, dass Wes einen leichten Schwips hatte, der aber keineswegs über der Promillegrenze lag. Doch Wes ließ sich so weit einschüchtern, dass Carter sich seine Befürchtungen zunutze machen konnte.
Wes schlug seinen Kragen hoch. »Mir passiert schon nichts«, entgegnete er und stapfte zu seinem Pick-up.
O doch, wenn es nach mir geht , dachte Carter, stieg in seinen Wagen und beobachtete im Rückspiegel, wie Wes davonfuhr. Er lächelte grimmig, als er sah, wie Wes gewissenhaft den Blinker setzte, vorschriftsmäßig vor der blinkenden Ampel abbremste und die Geschwindigkeitsbegrenzung einhielt.
Nur um Wes noch mehr einzuschüchtern, folgte Carter ihm sechs Häuserblocks weit, bevor er wendete und nach Hause fuhr. Die Straßen waren weitgehend leer, als er zur Stadt hinausfuhr; im Rückspiegel war kein Fahrzeug zu sehen. Was ihm ganz recht war.
Carter steuerte den Wagen in westlicher Richtung über die I-84. Hier herrschte überhaupt kein Verkehr, denn die Straße war offiziell gesperrt, doch der Sheriff ignorierte die Absperrung, umfuhr die vereisten Barrikaden und bog nach wenigen Meilen auf die Brücke über den Columbia River ab. Mitten auf der Brücke hielt er an. Er ließ den Motor laufen, stieg aus, trat ans Geländer und zog die Videokassette aus der Tasche. Während er die schwarze Hülle betrachtete, fragte er sich, was für Bilder von Carolyn wohl auf dem verdammten Band festgehalten sein mochten. War sie nackt? Mit Wes zusammen? In einer kompromittierenden Situation? Oder waren es nur Aufnahmen von ihr, vollständig bekleidet und lächelnd? Wen interessierte es? Er sagte sich, dass es besser für ihn wäre, es nicht zu wissen, und wunderte sich, dass so viel von dem schwärenden alten Schmerz vergangen war. Im Grund war ihm egal, was Carolyn getan hatte, aber er wollte es weiß Gott nicht noch einmal ans Tageslicht zerren.
Man soll keine schlafenden Hunde wecken.
Er wischte etwaige Fingerabdrücke von der Videohülle und fröstelte in der Kälte. Der Wind war rau, drang schneidend durch seine Kleider und trieb den Schnee vor sich her. Unter der Brücke toste der Hochwasser führende Columbia River.
Mit klappernden Zähnen ließ Carter die Videokassette auf den eisglatten Asphalt der Brücke fallen. Mit dem Stiefelabsatz trat er darauf
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