Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
kaum noch atmen konnte.
Bitte gib, dass ihnen nichts passiert ist. Gib, dass ich sie finde. Bitte – o Gott, gib, dass sie in Sicherheit sind! »Allie!«, rief sie vergeblich. »Cassie! Mädchen!« Tränen brannten in ihren Augen, ihre Kehle war wie zugeschnürt. Sie waren nicht im Haus. Nirgends.
Gib nicht auf. Du musst sie finden. Du musst!
Doch ihre Töchter waren nicht im Haus. Es schien, als seien sie im Schneesturm verschwunden. Zusammen mit ihrem Bodyguard.
»Ich sehe in der Garage nach«, entschied sie, nachdem sie das Haus von oben bis unten durchkämmt hatten. So sehr sie sich auch zu beherrschen versuchte, sie konnte nicht verhindern, dass die nackte Angst in ihrer Stimme mitschwang. »Vielleicht ist Turnquist mit ihnen weggefahren. Irgendwohin, wo es sicher ist. In meinem Wagen.«
»Hätte er dann nicht angerufen?«
»Normalerweise schon«, räumte sie ein, doch in den letzten paar Tagen hatte sie begonnen, an den Fähigkeiten und dem Urteilsvermögen ihres Bodyguards zu zweifeln. Jenna ging nach draußen, wo der Wind ihr wütend entgegenschlug, den Schnee in schrägen Bahnen unter das Dach des Durchgangs trieb und unter Knarren und Ächzen die Flügel der Windmühle drehte.
»Cassie!« Jenna schrie gegen das Tosen des Windes an. »Allie!«
Lieber Gott, gib, dass sie wohlauf sind!
Wie war er ins Haus gekommen?
Nichts deutete darauf hin, dass er sich gewaltsam Zutritt verschafft hatte.
Hatten sie den Wahnsinnigen etwa ins Haus gelassen?
Was zum Teufel war passiert?
Hör auf damit. Lass dich nicht von deinem schlimmsten Albtraum lähmen.
Sie suchte die Garage und das Gelände darum herum gründlich ab. Keines der Fahrzeuge fehlte. Ihr Jeep, der alte Pick-up und Jake Turnquists Wagen standen dort, wo sie immer standen, an den Wänden hing Werkzeug, der Rasenmäher stand unnütz und verstaubt in seiner Ecke.
Als sei alles in Ordnung. Als sei nicht schreckliches Unheil über ihre Familie gekommen.
Jenna war drauf und dran, allen Mut zu verlieren, doch sie sträubte sich dagegen, aufzugeben. Sie entdeckte eine Sichel an der Wand und nahm sie vom Haken. Nur für alle Fälle. Dann hastete sie hinaus zur Außentreppe, die zur Atelierwohnung über der Garage führte, wo Jake Turnquist sich einquartiert hatte. Auf dem Treppenabsatz angekommen, sah sie, dass die Tür unverschlossen war. Wie alle anderen Türen auch. Turnquists Räume waren dunkel und kalt und allem Anschein nach genauso, wie er sie verlassen hatte. Jenna ließ den Strahl der Taschenlampe durch die Wohnung wandern. Zwei Coladosen, eine leere Bierflasche und ein paar Kartons von Fertiggerichten standen auf dem Küchentresen. Eine Pyjamahose aus Flanell hing an einem Haken neben der Schlafzimmertür. Hinter der Tür sah sie das ungemachte Bett und den leeren Schrank. Am Waschbecken im Bad lag ein Einweg-Rasierer.
Im Wohnzimmer fand sie seine Ausrüstung – Kameras, Nachtsichtgläser, eine Handfeuerwaffe – auf dem Kaffeetisch. Er hatte seine Waffe nicht bei sich?
Hier war etwas faul.
Je mehr sie sah, desto stärker wurde ihre Überzeugung, dass ihre Kinder nicht sicher waren. In Gefahr schwebten. Wer hatte das getan? Und warum?
Und wie? Wie konnte jemand – vermutlich eine einzelne Person – ins Haus eindringen, Turnquist überwältigen, den Hund zum Schweigen bringen und die Mädchen entführen? Oder war Turnquist womöglich an der Tat beteiligt?
Gegen die Kopfschmerzen ankämpfend ging sie zurück ins Haus, wo Rinda mit dem Rücken zum Kamin hastig in ihr Handy sprach und mit der freien Hand wild gestikulierte, als könne ihr Gesprächspartner sie sehen. Als sie Jenna erblickte, unterbrach sie sich. »Einen Moment bitte. Sie ist jetzt hier. Nichts, wie?«
»Nein.«
»Verdammt.« Rindas Miene verdüsterte sich, sie reichte Jenna das Handy. »Ich habe endlich Shane erreicht. Sprich mit ihm.«
Jenna hätte beinahe geweint vor Erleichterung. So lächerlich es auch war – allein die Verbindung mit Carter gab ihr schon etwas mehr Kraft. »Hi.«
»Rinda hat mir alles erklärt«, sagte er, und seine Stimme legte sich wie Balsam über ihre Seele. Tränen traten ihr in die Augen. »Tut mir Leid, dass ich mich nicht früher gemeldet habe – zu viele Anrufe auf einmal. Da sind leider einige nicht durchgekommen. Die Leitungen sind überlastet. Hast du Turnquist gesehen?«
»Nein. Niemand ist hier. Weder die Kinder noch der verdammte Bodyguard, nicht mal der Hund – niemand«, sagte sie. Nun überwältigte sie doch die
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