Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
gemacht.
Die Öffentlichkeit wusste, dass sie in einer Kleinstadt in Oregon lebte. Mit so etwas war zu rechnen.
Es war also ein Brief von einem Spinner zu ihr durchgedrungen. Na und?
Ihre Nerven waren einfach zum Zerreißen gespannt. Das Unwetter machte ihr Sorgen, und dann war da noch das Gerede über eine ermordete Frau, der Streit mit ihren Töchtern … Sie musste sich beruhigen. Ihren Kaffee austrinken. Das geplante Bad nehmen … Trotzdem lief sie unruhig im Haus umher. Obwohl es weit außerhalb der Stadt lag, abgeschirmt von hohen Bäumen und dem Fluss, geschützt vor der Außenwelt, ging sie von Zimmer zu Zimmer und schloss die Jalousien. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie die letzte Zeile noch einmal las.
Ich komme dich holen.
Ohne lange zu überlegen, trat sie vor die Wand, an der die Alarmanlage angebracht war, und gab den Code ein. Eine Sekunde später wechselte ein kleines Lämpchen von Grün zu Rot. Es war ein einfaches System, das nach Angabe des Maklers lange nach dem Bau des Hauses eingerichtet wurde und nur mit den Türen verbunden war. Ein Summer wurde aktiviert, wenn bei eingeschalteter Anlage eine Tür geöffnet wurde; zwei Minuten später begann eine Sirene zu heulen, sofern der Alarm dann noch nicht deaktiviert worden war. Doch sie stand in keiner Verbindung zu einem Sicherheitsdienst, der den Sheriff benachrichtigte, wenn der Alarm ausgelöst wurde. Noch nicht. Darum würde sie sich gleich morgen kümmern.
Inzwischen hatte sie sich an den Kamin gesetzt und wärmte sich die Hände. Zu ihrem Schutz verfügte sie über einen altersschwachen Hund und eine Flinte ohne Munition.
Flipp nicht gleich aus. Es ist doch nur ein anonymer Brief … Nichts Besonderes.
Doch der Brief war in Portland abgeschickt worden, kaum eine Stunde entfernt.
Von ihr.
Von ihren Kindern.
Ihr Innerstes schien zu Eis zu gefrieren.
Ich komme dich holen.
Sie atmete tief durch. Versuch’s doch , dachte sie, und ihre Wut besiegte die Angst. Morgen würde sie nicht nur einen Vertrag mit dem Sicherdienst abschließen, sondern sich auch Munition für die Flinte besorgen.
»Komm schon, Cass … Das wird ein Riesenspaß«, drängte Josh. »Und außerdem haben wir morgen keine Schule. Wir treffen uns in einer Stunde an der üblichen Stelle.«
»Wenn ich erwischt werden, ist alles aus.« Cassie hatte sich ins Bett gewühlt, die Decke über den Kopf gezogen und das Handy ans Ohr gepresst. Er wollte, dass sie sich aus dem Haus schlich. Schon wieder. So bald, nachdem sie erwischt worden war. Nein … Sie konnte es nicht riskieren.
»Na und? Mehr als Hausarrest kann sie dir nicht aufbrummen.«
»Sie kann mir das Leben verflixt schwer machen«, sagte Cassie und verzog das Gesicht. Es stimmte, ihre Mutter ging ihr gewaltig auf die Nerven, spionierte ihr nach, stellte Regeln auf, behandelte sie wie ein kleines Kind, aber tief im Inneren wusste Cassie, dass Jenna sich autoritär gab, weil sie für ihre Töchter nur das Beste wollte. Was natürlich völlig daneben war.
»Du wirst schon nicht erwischt. Du gehst ja erst nach ein Uhr raus. Dann schläft sie längst. Garantiert. Sie wird überhaupt nichts merken.«
Cassie zögerte und nagte an ihrer Unterlippe, bevor sie schließlich zu einer Entscheidung kam. »Ich kann nicht. Echt nicht.«
»Ach, sei kein Frosch. Fast alle gehen heute Nacht raus.«
»Die haben die Erlaubnis ihrer Eltern.«
»Nein, Cass. Die lassen sich von ihren Eltern einfach nicht alles sagen, so wie du. Die haben keinen Schiss vor ihren Eltern.«
»Ich habe keine Angst vor meiner Mom.«
»O doch.«
»Quatsch.«
»Warum fragst du sie dann nicht, ob du heute Abend raus darfst?«
»Sie würde nein sagen. Ich habe Hausarrest. Schon vergessen?« Manchmal stellte er sich so bescheuert an!
»Was hindert dich daran, einfach abzuhauen?«
»Zum einen hat sie heute Abend die Alarmanlage eingeschaltet. Ich habe es von der Treppe aus gesehen. Das tut sie sicher nur, damit ich nicht abhauen kann.«
»Dann schalte sie aus. Du kennst doch den Code, oder?«
»Dann wäre das Haus ja ungeschützt.«
»Na und?«, fragte er lachend.
»Hör mal, ich will einfach keinen Ärger.«
»Weil du Angst vor deiner Mom hast. Sag ich doch. Du gibst ihr solche Macht über dich. Das ist eigentlich gar nicht ihr Problem. Sondern deins.«
»Von mir aus. Aber deins ist es jedenfalls nicht!« Sie klappte ihr Handy zu und schaltete es aus, damit sie es nicht hörte, falls Josh auf die Idee kam, sie noch
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