Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
dumpfe Geräusch der Heizung, die schwachen Laute aus dem Fernseher im ersten Stock –, alles ging unter im Heulen des Windes, der an einem undichten Fenster auf dem Dachboden rüttelte. Wieder flackerte das Licht, und Jenna schluckte heftig, als ihr plötzlich klar wurde, was sie da eben am Telefon gehört hatte. Nicht genug damit, dass tatsächlich jemand am anderen Ende der Leitung gewesen war, nein, bei der kaum vernehmbaren Melodie hatte es sich auch noch um den Titelsong von White Out gehandelt, dem letzten Film, den sie gedreht hatte, dem Film, der nie in die Kinos gekommen war. Zwar war der Titelsong ein Hit geworden, aber White Out entwickelte sich zu einem Katastrophen-Projekt, an dem ihre Ehe zerbrach und ihre Schwester zugrunde ging.
Jetzt trat sie einen Schritt zurück. Als sie dabei flüchtig ihr gespenstisches Spiegelbild in der Fensterscheibe erblickte, glaubte sie im ersten Moment, Jill zu sehen. Die schöne, unschuldige Jill, die Jenna äußerlich so ähnlich war, dass sie oftmals für Zwillinge gehalten wurden. Jetzt war sie tot.
Deinetwegen .
Ihre Augen brannten, als sie sich an die tausend Tonnen Schnee erinnerte, die den Berg heruntertosten.
Du hättest sterben sollen, nicht deine Schwester.
Die Anschuldigungen hallten in ihrem Kopf nach, wie schon seit Jahren immer wieder. »O Gott«, flüsterte sie und taumelte rückwärts zu einem Stuhl in der Ecke. Die Stuhlbeine kreischten über den Holzboden. Es gelang Jenna, sich zu fangen, obwohl die Melodie von White Out noch immer in ihrem Kopf nachhallte. Wer hatte sie angerufen, und warum hatte er diese Musik gespielt?
Du bist ja gar nicht sicher, dass es so war. Du hast es nicht deutlich gehört. Vielleicht war es eine völlig andere Melodie. Oder eine Störung in der Leitung. Sieh dir doch das Wetter an! Vielleicht brechen die Telefonleitungen zusammen. Du bildest dir Dinge ein, Jenna.
Hastig hob sie den Hörer ab und las den Hinweis auf dem Display ab. Eine unterdrückte Nummer. »Verdammt.« Sie wählte *69 und hoffte, den Namen des letzten Anrufers zu erfahren, doch die Stimme vom Band wiederholte nur, was sie bereits dem Display entnommen hatte. Der Anrufer blieb anonym.
Mit Absicht?
Weil er was zu verbergen hatte?
»Du Dreckskerl«, zischte sie und legte innerlich zitternd den Hörer auf die Gabel.
Sie versuchte sich einzureden, dass sie überreagierte. Dass alles in Ordnung war. Dass ihre allzu lebhafte Fantasie mit ihr durchging.
Aber zugleich war ihr klar, dass sie sich selbst belog.
Wieder einmal.
»Reiß dich zusammen«, befahl sie sich, wusste jedoch, dass es ihr an diesem Abend nicht gelingen würde, Ordnung in ihre aufgewühlten Emotionen zu bringen.
Da war sie, direkt auf der anderen Seite des kalten Glases. Nicht so schön wie Jenna Hughes, aber doch ziemlich ähnlich, sodass er, als er sie jetzt – vorbei an dem rot und blau flackernden Licht einer Neonreklame für Bier – betrachtete, zu dem Schluss kam, es würde ausreichen. Die Körpergröße stimmte in etwa; sie war zierlich, die Brüste waren allerdings kleiner und die Hüften nicht so schön gerundet wie Jennas. Doch die Ähnlichkeit war da … und das genügte erst einmal. Sie war blond, aber die Haarfarbe wirkte unnatürlich; der dunkle Ansatz ließ erahnen, dass sie von Natur aus brünett war. So dunkel wie Jennas schwarz gewelltes Haar war das ihre jedenfalls nicht. Nicht, dass das eine Rolle spielte, sagte er sich, während er zusah, wie sie ihre Tische versorgte, sich die Hände nervös an ihrem Schürzchen abwischte und immer wieder zum Fenster und in das tobende Unwetter hinausblickte.
Als ob sie wüsste, dass er da war.
Als ob sie begriff, dass ihr Schicksal in dieser dunklen, kalten Nacht ihrer harrte.
Er lächelte und spürte ein erregendes Prickeln in seinen Adern, einen so kalten Impuls, dass er ihn an andere Zeiten erinnerte … an eine ferne Jugend und einen zugefrorenen See, an eiskaltes Wasser, das über ihm zusammenschlug, an ein zitterndes Mädchen und dunkles, todbringendes Wasser … Bilder von längst Vergangenem. Für den Bruchteil einer Sekunde schloss er die Augen und dachte nicht an die Vergangenheit, sondern an die Zukunft. Eine Fantasie entführte ihn, lockte ihn, malte ihm lebhafte erotische Bilder von der Frau dort in dem Imbisslokal … Faye … ja, Faye Tyler aus dem Film The Bystander – sie war Faye und versteckte sich hier unter falschem Namen …
Wunderschön.
Sexy.
Perfekt.
Wie Jenna.
Ihr Name klang
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