Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
Winkeln. »Hey, nun komm schon!«
Immer noch keine Antwort.
»Er ist doch noch nicht nach Hause gegangen?« Rinda schwang sich von der Bühne und ging zu einem der hohen Bogenfenster. Durch eine klare Stelle in der Bleiverglasung spähte sie hinaus auf den dunklen Parkplatz. »Mein Wagen steht noch da.«
»Er würde nicht einfach verschwinden, ohne Bescheid zu sagen«, wandte Lynnetta ein, aber es klang nicht sehr überzeugt.
»Scott?« Sorge schwang in Rindas Stimme mit. »Scott!«
»Vor einer halben Stunde war er noch beim Mischpult. Ich sehe mal nach.« Wes lief die Treppe hinauf. Jenna sagte sich, es gebe keinen Grund zur Beunruhigung – Scott ging immer seiner eigenen Wege, war nie ganz im Einklang mit dem Rest der Welt. Doch Rinda steigerte sich in eine Stimmungslage irgendwo zwischen Wut und Panik hinein.
»Hier oben ist er nicht!«, rief Wes über den Lautsprecher herunter, und seine Stimme hallte durch den großen Raum. »Scott … Du bist vermisst gemeldet, und deine Mom möchte nach Hause fahren!«
»Er muss doch hier sein«, sagte Rinda, bereits auf dem Weg zu der Treppe, die hinter der Bühne zu den Umkleideräumen im Keller führte, als Scott an der Tür auftauchte. »Oh! Himmel, du hast mir einen Schrecken eingejagt«, rief Rinda und presste die Hand aufs Herz.
»Ich dachte, du suchst mich.« Scotts pickeliges Gesicht trug den Ausdruck eines Unschuldsengels. Um seinen Nacken hingen Kopfhörer, aus denen laute Rap-Musik dröhnte.
»Ja, ich habe dich gesucht … Wo zum Teufel hast du gesteckt?«
»Unten. Du hast doch gesagt, ich sollte da sauber machen?«
»Oh … nun … ja … Wird wohl so sein«, erwiderte sie leicht verwirrt. »Ist ja auch egal. Es ist spät, lass uns gehen …« Rindas Ärger verrauchte rasch, während sie Mantel und Mütze anzog und ihren Sohn zur Tür hinausscheuchte.
Jenna nahm ihre Sachen und folgte ihr. Das Abschließen überließ sie Wes und Lynnetta.
Draußen herrschte Nacht, so ruhig, dass es an die Nerven ging. Vereinzelte Schneeflocken fielen vom dunklen, sternenlosen Himmel. Die Hände in den Taschen, sah Jenna sich noch einmal nach dem Theater mit seinem hohen Glockenturm und den bleiverglasten Fenstern um und fröstelte. Wie magisch angezogen wanderte ihr Blick nach oben zur Turmspitze und dem steilen Dach, unter dem früher die Kirchenglocken geläutet hatten. Sie nahm eine Bewegung wahr, einen flüchtigen Schatten, und hatte das eigentümliche Gefühl, dass etwas oder jemand dort im Turm stand, sich in der eiskalten Dunkelheit verbarg und auf sie herunterblickte.
Aber das war natürlich Spinnerei.
Verfolgungswahn.
Niemand außer Wes und Lynnetta hielt sich im Theater auf, niemand war im Turm … Es sei denn, Wes wäre in aller Eile die wacklige Treppe bis zur Turmspitze hinaufgerannt.
Sie wollte etwas zu Rinda und Scott sagen, doch die beiden waren bereits in ihren Wagen gestiegen. Scott saß am Steuer, und Rinda winkte kurz, als sie vom Parkplatz fuhren. Auf der Straße gab Scott so heftig Gas, dass der Wagen schleuderte, ehe er sich auf der richtigen Spur wieder fing. Vierundzwanzig Jahre alt, aber er führte sich auf wie ein Sechzehnjähriger, wie ein Jugendlicher, dessen emotionale Reifung irgendwie unterbrochen war und nie zum Abschluss kam. Und er wohnte noch immer zu Hause bei seiner überbehütenden Mutter.
Mit welchem Recht übst du solche Kritik? Denk nur an deine eigene Tochter. Cassie ist auch nicht gerade ein Engel.
Jenna schloss den Jeep auf und stieg ein.
Sie war gerade vom Parkplatz gefahren, als ihr Handy klingelte. Sie drückte die Sprechtaste und bog auf die Straße ab. »Hallo?«
»Mom, kannst du eine Pizza mitbringen?«, fragte Allie.
Jenna lächelte, als sie die Stimme ihrer jüngeren Tochter hörte. »Ich glaube, das ist eine gute Idee. Falls die Pizzeria noch geöffnet ist.«
»Und darf ich zu Dani?«
»Jetzt?« Sie blickte auf die Uhr. Halb zehn. »Musst du morgen denn nicht zur Schule?«
»Ich meine ja nach der Schule. Morgen.«
»Da hast du doch Klavierunterricht, wenigstens sofern das Wetter es zulässt.«
»Ich hasse Klavierunterricht.«
Vor Jennas geistigem Auge erschien kurz ein Bild von Blanche mit ihrer Baskenmütze und den Stiefeln. Die Frau war schon mehr als merkwürdig. »Wie wär’s mit Freitag, das heißt, wenn Mr Settler einverstanden ist?«
»Ach, du sollst ihn übrigens anrufen.«
»Soll ich das?«
»Ja – er war am Telefon.«
»Wann?«
»Ähm … als du weg warst.«
»Heute
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