Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
sich jetzt auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch, sprang jedoch plötzlich wieder auf, hastete aus dem Zimmer und kehrte mit einem Becher Wasser zurück, den sie in den Topf der halb toten Pflanze auf seiner Schreibtischecke leerte. »Dieser Weihnachtskaktus müsste eigentlich blühen«, schimpfte sie. »Gib ihm mal ein bisschen Dünger.«
»Reg dich ab«, knurrte Carter. »Gerade ist der Bericht über Vincent Paladin eingetroffen, den Kerl, der Jenna Hughes früher mal belästigt hat.«
»Ja?«
»Er lebt in Florida. Auf Bewährung. Ist ein braver Junge, erscheint allwöchentlich zum Termin bei seinem Bewährungshelfer. An dem Tag, als der Brief in Portland abgeschickt wurde, hielt er sich in Tampa auf.«
»Er könnte einen Komplizen haben.«
Carter trank mit einem großen Schluck seinen Kaffe aus und zerdrückte den Pappbecher in der Hand. »Glaube ich nicht. Diese Typen, Stalker, sind gewöhnlich Einzelgänger.«
»Du willst ihn also als Verdächtigen ausschließen?«
»Ich schließe niemanden aus«, widersprach er prompt.
BJ zog eine Augenbraue hoch. »Bist du heute Morgen mit dem falschen Fuß aufgestanden?«
»Wie jeden Morgen.«
»Ja, aber neuerdings ist es deutlicher denn je.«
Er schnaubte verächtlich. »Vielleicht liegt es daran, dass ich die Kälte nicht ausstehen kann.«
»Dann wird sich deine Laune vorerst nicht bessern, wie? Der Wetterbericht sagt noch Schlimmeres als bisher voraus. Wir sollten uns wohl daran gewöhnen.«
Niemals , dachte er, erwiderte jedoch nichts.
Die abendliche Probe war eine Katastrophe. Zwei Schauspieler waren nicht erschienen – eine Frau mit der Begründung, ihr Wagen springe nicht an, und ein Mann, der seinen gezerrten Knöchel pflegen musste, nachdem er auf Glatteis ausgerutscht und gestürzt war. Den übrigen Mitgliedern des Ensembles war dank der Launen der Heizung abwechselnd zu kalt und zu warm, und nur wenige hatten ihren Text gelernt. Das Klavier war verstimmt, und es gab laufend Probleme mit der Beleuchtung und dem Lautsprechersystem.
Nach der zweistündigen Probe, als auch der letzte der Möchtegern-Schauspieler das Theater verlassen hatte, hätte Jenna sich am liebsten die Haare gerauft. Sie hatte sich bereit erklärt, die Schauspieler anzuleiten, was sie nach diesem Abend bitter bereute. Warum hatte sie nur eingewilligt, Rinda bei dieser Produktion zu helfen? War sie etwa Masochistin? War sie so verzweifelt darauf bedacht, sich in die Gemeinde einzugliedern, dass sie sich für die nächsten paar Wochen dieser Quälerei unterziehen musste? Nie wieder , gelobte sie sich im Stillen, während sie und die übrige Belegschaft ihre Sachen zusammensuchten und über die bevorstehende Aufführung diskutierten.
Blanche stand beim Klavier neben der Bühne und packte ihre Noten ein, während Lynnetta noch in einer der hinteren Bankreihen saß und ein Kostüm säumte. Wes und Scott arbeiteten vermutlich oben unterm Dach an der fehlerhaften Beleuchtungsanlage, und Jenna, Rinda und Yolanda Fisher hockten auf dem Rand der Bühne, wo früher die Kanzel gewesen war.
»Das war gar nicht so übel, oder?«, sagte Blanche, nahm die Blätter vom Klavier und schob sie in ihre Mappe.
»Nein«, versetzte Rinda missmutig. »›Übel‹ wäre geschmeichelt.«
Blanche steckte die Notenmappe in ihre lederne Aktentasche. »Ach, das sagst du jedes Mal, wenn eine Produktion an diesem Punkt angelangt ist.«
»Wie dem auch sei, ich bin der gleichen Meinung.« Yolanda Fisher band sich ein magentarotes Tuch um ihr kurz geschnittenes Kraushaar. Yolanda, eine schlanke Afro-Amerikanerin, gab dienstags und donnerstags abends Tanzstunden im Theater und verkaufte tagsüber Versicherungen. An diesem Abend war sie als freiwillige Helferin eingesprungen. »Es war schlechter als schlecht.« Sie legte sich die Enden des Tuchs um den Hals. »›Erbärmlich‹ wäre vielleicht noch die zutreffendste Beschreibung. Was keine Kritik sein soll.«
»Hm!« Blanches zusammengepresste Lippen zeigten Überreste blassroter Farbe, da von ihrem Lippenstift bereits nach dem ersten Akt nicht mehr viel übrig geblieben war. »Was meinst du, Jenna?«
»Dass allenfalls himmlische Intervention uns noch retten kann.«
Rinda und Yolanda lachten, und selbst Wes, der irgendwo unter den Dachbalken verborgen an der Beleuchtung arbeitete, kicherte leise, doch Lynnetta furchte die Stirn und biss stumm den Nähfaden ab. Scott, Rindas Sohn, blieb stumm. Jenna fragte sich, ob auch er noch mit der Lichttechnik
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