Sanfte Selbstbehauptung
Aber statt deutlich zu zeigen, dass wir diese Kommentare nicht hören wollen, sind wir nur verunsichert. Und schon suchen wir den nächsten Spiegel auf, um zu überprüfen, ob sie Recht hat.
Der 16-jährige Sohn schimpft beim Abendessen wieder einmal über den langweiligen Bio-Fraß, den er zu Hause vorgesetzt bekommt. Und um die Stimmung zu retten, bieten wir ihm an, schnell eine Tiefkühlpizza in den Ofen zu schieben.
Auf der Familienfeier macht sich Tante Katie schon wieder über unseren Beruf lustig. Statt aber nun zu zeigen, wie sehr uns ihr Gerede verletzt, nehmen wir uns noch ein Stück Kuchen und schlucken alles runter. Vielleicht lächeln wir sogar.
Nichts ist passiert und alle haben sich lieb.
Wenn das Fass überläuft und der Kragen platzt
Wir Harmoniebedürftigen sind weder abgestumpft noch gefühlskalt. Im Gegenteil: Wir sind sehr empfindlich. Wir merken uns jede Unannehmlichkeit, jede Störung und jede Grenzüberschreitung. Alles, was uns nervt und quält, bleibt bei uns. Wir lagern es ein. Wir sammeln es innerlich. Und irgendwann kommt der Moment, in dem es uns zu viel wird. Das Fass läuft über. Uns platzt der Kragen. Dafür reicht ein winziger Anlass, ein harmloser Zündfunke.
Ein unterdrücktes Nein kann sich
in Wut verwandeln.
Was jetzt rauskommt, ist nicht mehr harmonisch. Nein, da gibt es keine ruhige Bitte mehr und auch keine Selbstbehauptung. Was jetzt rauskommt, ist Wut. Ein empörtes Schnauben, aufgebrachte Vorwürfe, knallende Türen und harsche Sätze wie:
»Mir reicht es! Mach deinen Kram alleine!«
»Seht zu, wie ihr ohne mich zurecht kommt!«
»Ich hab die Schnauze gestrichen voll! Verzieh dich und lass mich in Ruhe!«
Für unsere Mitmenschen ist das komplett unverständlich. Bisher war alles lieb und locker und nun plötzlich dieser Ausraster. Nein, das ist kein Nervenzusammenbruch, kein Vitaminmangel und auch kein prämenstruelles Syndrom.
Wir Harmoniebedürftigen waren die emotionale Klimaanlage, die alle bei Laune gehalten hat. Niemand hat uns angemerkt, was uns dieses Harmoniebestreben innerlich gekostet hat. Wie sehr wir uns zusammenreißen und wie viel Unmut wir dafür unterdrücken mussten. Was sich da explosionsartig Luft gemacht hat, ist das Nein, das wir immer wieder runtergeschluckt haben.
Gibt es irgendetwas, das einen solchen Knall verhindern kann? Können wir vermeiden, dass wir so aus der Haut fahren? Die Antwort lautet: Ja. Ja, indem wir keinen Unmut einlagern, sondern rechtzeitig Grenzen ziehen. Nicht erst nach zehn Jahren, sondern gleich, wenn uns etwas stört. Damit uns das gelingt, brauchen wir eine neue Vorstellung von einem harmonischen Miteinander. Nicht mehr das alte Stillschweigen und Aushalten, sondern eine Harmonie, die auf Ehrlichkeit und Offenheit beruht. In der es ein Ja und auch ein Nein geben darf.
Aushalten und stillschweigen schaffen
keine Harmonie.
Um eindeutig Nein zu sagen, müssen Sie Ihre Freundlichkeit nicht aufgeben. Sie können beides miteinander kombinieren. Sie können auf eine freundliche Art und Weise anderen Menschen gegenüber eine Grenze ziehen. Wie das geht, zeige ich Ihnen hier.
Selbstbehauptungsstrategie: Die freundliche Art, Nein zu sagen
1. Gestehen Sie es sich selbst zu, dass Ihnen etwas nicht passt oder dass Sie etwas stört. Erlauben Sie sich, dieses Nein-das-mag-ich-Nicht innerlich zu fühlen. Zeigen Sie Ihrem Gegenüber bei nächster Gelegenheit deutlich, was Sie nicht wollen oder was Sie stört.
2. Gehen Sie in Ihre königliche Muthaltung und bauen Sie Ihr Schutzschild auf. Beides gibt Ihnen eine selbstsichere Ausstrahlung und hilft Ihnen zugleich, gelassen zu bleiben.
3. Sprechen Sie in einem sachlichen, ruhigen Tonfall. Denken Sie daran: wenig Text, dafür klare Worte.
4. Nennen Sie den Namen des Betreffenden, das gibt Ihrer Aussage mehr Bedeutung. Verwenden Sie dabei freundliche Formulierungen, beispielsweise so:
• »Herr Meier, ich hab eine Bitte: Mich stört das Radio, das ich aus Ihrem Büroraum bis hierher höre. Könnten Sie es bitte leiser drehen oder ganz abstellen?«
• »Tut mir Leid, Karin, aber ich kann nicht so lange zuhören. Ich hab jetzt nur noch fünf Minuten Zeit.«
• »Onkel Franz, das, was du da über meine Ehe sagst, ärgert mich. Ich kann darüber nicht lachen. Solange wir hier zusammen sitzen, verkneif dir doch bitte diese Bemerkungen.«
5. Falls Ihr Gegenüber Sie nicht gleich ernst nimmt, wiederholen Sie Ihr Nein in einem ruhigen Tonfall – wenn nötig
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