Sanfter Mond über Usambara
Zwangsarbeit herauskämen.
» Es wäre zu freundlich, wenn Sie mir Namen und Adresse des Klägers mitteilen könnten « , fiel ihm Charlotte liebenswürdig ins Wort.
Die deutsche Bürokratie bewährte sich auch hier– nach einigem Suchen fand ein schwarzer Angestellter die Unterlagen und notierte das Gewünschte in schön geschwungenen Lettern auf einen Zettel:
Machmet Gupta
Inderstraße
Hausnummer 56
» Steht dort auch, was gestohlen wurde? « , erkundigte sie sich und verdrehte den Hals, um selbst einen Blick auf die Papiere werfen zu können.
Der schwarze Angestellte bemühte sich, den handschriftlichen Eintrag zu entziffern, zog die Stirn in Falten und hielt das Blatt näher an die Augen.
» Ein S-w-a-s-w-a-n-d… « , buchstabierte er und hob unsicher die Schultern.
» Ein was? «
Er unternahm einen neuen Versuch, und plötzlich fing er an zu strahlen.
» Ein clock Swaswand… «
» Eine Uhr! « , warf Peter Siegel mit bekümmerter Miene ein. » Er hat eine Uhr geklaut. Möglicherweise sogar mehrere. Was mag denn nur ein ›Swaswand‹ sein? «
Charlotte wollte es nicht glauben, es war wirklich zu skurril. Schammi hatte eine Schwarzwalduhr entwendet. In Hamburg hatte sie eine solche in einem Geschäft entdeckt, doch sie hatte ihr ganz und gar nicht gefallen. Ein Häuschen miteinem Paar in Schwarzwälder Tracht und einem Kuckuck, der zu jeder vollen Stunde lärmend aus einem kleinenFenster schnellte. Die eisernen Gewichte am Ende der Ketten für das Zugwerk hatten die Form von Tannenzapfen. Hatte Schammi diesem Wunderwerk nicht widerstehen können?
» Gehen wir. « Energisch wandte sich Charlotte um und strebte zur Tür. Peter Siegel folgte ihr verständnislos.
Er hatte keine Ahnung, warum Klaras Cousine, kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, in helles Gelächter ausbrach. Als sie es ihm erklärte, fand er die Sache keineswegs komisch.
» Sie sind wie die Kinder « , murmelte er. » Jeder eitle Tand verführt sie. Wir müssen sie leiten, sonst sind sie verloren. «
Die Inderstraße war um die Mittagszeit wenig belebt, doch Charlotte fiel auf, dass viele der alten Gemäuer und Schuppen abgerissen worden waren, um Platz für neue Häuser zu schaffen. Zwischen diesen weißen Gebäuden hatten kleine Händler und Handwerker ihre Hütten errichtet, die meist nur aus einem einzigen Raum und einem Vordach aus Stoff bestanden. Es waren vor allem Afrikaner, die sich die Miete für einen besseren Standort nicht leisten konnten.
Machmet Gupta war keiner dieser armen Burschen. Sein Geschäft befand sich in einem zweistöckigen Haus. Schon von Weitem war es an der orangeroten Markise zu erkennen, die sich wie ein Segel im Wind bauschte. Eiserne Gitter, die jetzt zurückgeklappt waren, zeugten davon, dass er seinen Besitz vor Neidern zu schützen wusste. Vor dem Laden hatte er Tische mit allerlei Waren aufgebaut, die die Kundschaft anlocken sollten, vor allem blitzende Teekessel, Figuren aus blank poliertem Messing und ein Grammophon, dessen enormer Trichter jeden Vorübergehenden beeindruckte. Ein schwarzer Junge hatte die Aufgabe, die Waren zu bewachen, er lehnte gegen das Eisengitter, die Arme übereinandergeschlagen, sein langes weißes Gewand flatterte in der steifen Nordostbrise. Mit großen Augen verfolgte er, wie Charlotte Simba am Gitter festband und dann mit ihrem Begleiter den Laden betrat.
Drinnen war der Besitzer im Gespräch mit einer umfangreichen Goanesin, die– so vermutete Charlotte– ebenfalls einen Handel betrieb und mit Machmet Gupta ein Geschäft abschließen wollte. Die Frau war lebhaft, rutschte mit ihrem fülligen Körper auf dem ihr angebotenen Stuhl hin und her und fuchtelte mit den Händen, dass ihre silbernen Armreifen klirrten. Weder Peter noch Charlotte verstanden das Kauderwelsch, das die beiden sprachen, doch Charlotte hielt es für ungeschickt, ihre Angelegenheit in Gegenwart dieser Frau vorzubringen. Stattdessen sah sie sich neugierig im Laden um.
Machmet Guptas Warenangebot richtete sich ganz sicher nicht an die Eingeborenen, denn die hätten sich weder seidene Teppiche noch goldene Buddhafiguren noch eingelegte Tische aus Ebenholz leisten können. Auch schien er einen schwunghaften Handel mit afrikanischen Schnitzereien zu führen: Götterfiguren, Tiere, ja sogar kunstvoll geschnitzte Wandschirme. Und– tatsächlich– gleich in der Nähe des Eingangs konnte man eine Schwarzwälder Kuckucksuhr an der Wand bestaunen. Auf welch abenteuerlichen Wegen dieses
Weitere Kostenlose Bücher