Sanfter Mond über Usambara
schwarzen Dieners schien aus einer anderen Welt zu kommen. Sie starrte Jim an, als sei er eine Erscheinung, und erst als sie sein erschrockenes Gesicht bemerkte, gelang es ihr, sich zusammenzunehmen. George war hier gewesen, das war sicher. Aber wann? Und weshalb hatte ihr niemand etwas davon gesagt?
» Ist während meiner Abwesenheit jemand in die Villa gekommen, Jim? «
Der Diener schob seine weiße, runde Kappe ein kleines Stück nach hinten, eine Geste, die auf ein schlechtes Gewissen hindeutete.
» Ja, bibi Johanssen. Ein Bote hat gebracht Paket von Klinik für Frau Charlotte Johanssen. Mimi hat Paket genommen und in dieses Zimmer getragen… «
» Das meine ich nicht, Jim. War sonst noch jemand hier? Jemand, den du kennst. «
Er kratzte sich im Nacken und zuckte dann mit den Schultern. Nein, sonst habe er niemanden gesehen.
» Und wo bist du den Morgen über gewesen? «
Genau wie sie vermutet hatte, waren die Angestellten, gleich nachdem bibi Johanssen und bwana Brooks fortgegangen waren, in ihre eigenen Häuser gelaufen, um dort ein wenig » auszuruhen « . Jeder, der einen Schlüssel für das Tor besaß, hätte ungesehen ins Haus gehen und sich dort umsehen können.
» Es ist gut, Jim. Mimi soll Elisabeth zum Essen holen. Ich komme… «
Sie lächelte Jim beruhigend zu, obwohl ihr Herz raste und ihre Finger eiskalt und feucht wurden. Erst als der Angestellte das Arbeitszimmer verlassen hatte, stützte sie die Ellenbogen auf den Tisch und verbarg das Gesicht in den Händen.
Er lebte! Er war nicht von den Eingeborenen erschlagen worden und auch nicht am Fieber gestorben! Was auch immer mit ihm geschehen war, er hatte es überlebt.
Sie weinte vor Erleichterung, wischte dann die Tränen mit dem Ärmel fort und griff wieder zu dem Zettel.
Er hatte sich in der Wildnis aufgehalten – was meinte er damit? Vielleicht hatten ihn die Eingeborenen gar nicht gefangen genommen? Oder hatten sie ihn mit Maultier und Waffe ausgestattet und ihn in der Wildnis sich selbst überlassen? War er womöglich gar nicht krank gewesen? Sie suchte nach einem Taschentuch, schniefte und las die Zeilen noch einmal.
Sie waren eindeutig in Georges Handschrift geschrieben, und doch konnte sie kaum glauben, dass er es gewesen war, der diese kühlen, nüchternen Zeilen an sie verfasst hatte.
Was war geschehen? Was hatte ihn so verändert? Wieso schlich er sich heimlich in die Villa, um ihr eine Nachricht zu hinterlassen, und ging dann wieder fort?
Sie versuchte, zwischen den Zeilen zu lesen, doch sie begriff nichts. Weshalb meinte er, es sei an der Zeit, Bilanz zu ziehen? Selbstverständlich waren sie zwei erwachsene Menschen, dieeinander respektierten, wieso stellte er das plötzlich in Frage?
Eine unbestimmte Angst stieg in ihr auf und verdrängte das Glücksgefühl, das sie eben noch erfüllt hatte. Liebte er sie nicht mehr? Sie musste daran denken, wie sie in Neu-Kronau voneinander Abschied genommen hatten: kühl, ohne Zärtlichkeit, in einem albernen, überflüssigen Streit. War seine Liebe damals schon erloschen, ohne dass sie es bemerkt hatte?
» Mama! Kommst du jetzt endlich? «
Verwirrt steckte sie das kleine Stück Papier in ihren Ärmel und eilte aus dem Arbeitszimmer hinüber in den Wohnraum, wo man den Tisch für sie und Elisabeth gedeckt hatte. Das Mädchen saß bereits ungeduldig vor seinem Teller, die Hände zum Gebet gefaltet, wie sie es in Hohenfriedeberg gelernt hatte.
» Hast du geweint, Mama? «
» Nur ein bißchen « , gab Charlotte zu. » Ist schon vorbei. «
» Du musst nicht weinen, Mama. Heute kommt George zurück! «
» Vielleicht… «
» Bestimmt! Du musst jetzt das Tischgebet sprechen. «
» Komm, Herr Jesus… «
Sie war entschlossen, ihrer Tochter nichts von der seltsamen Nachricht zu erzählen. Was auch immer zwischen ihnen zerbrochen war, Elisabeth sollte so wenig wie möglich darunter leiden.
» Wenn George heute kommt, dann musst du diese Photographien wegtun, Mama. Ich glaube, er wäre eifersüchtig, wenn er sie zu sehen bekäme… «
» Aber Lisa, George muss doch nicht eifersüchtig auf Jeremy sein… «
Rasch griff sie nach ihrer Limonade und trank einen großen Schluck, um den Kloß in ihrem Hals aufzulösen. Großer Gott! Das Kind hatte recht! Es war George gewesen, der die Photographien auf dem Schreibtisch entdeckt und zerrissen hatte! War er tatsächlich eifersüchtig, wie Elisabeth behauptete? Die beiden hatten sich in Neu-Kronau doch so gut miteinander verstanden! Aber
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