Sanfter Mond über Usambara
die Zeit nehmen, an Ettje in Leer zu schreiben, und auch Elisabeth veranlassen, einen kleinen Brief beizulegen. Es war keine einfache Aufgabe, weil sie Georges Abwesenheit nicht beschönigen und schon gar nicht verschweigen würde, dennoch sollte der Brief zuversichtlich klingen, sie wollte auf keinen Fall von der Verwandtschaft in Leer bedauert werden. Ettje hatte schon genügend Ärger mit ihrem habgierigen Bruder Paul, der ihr nach wie vor das Erbe der Großmutter streitig machte. Auf Georges Schreibtisch fand sie einen kleinen Karton vor, der am Morgen mit der Post gekommen sein musste. Sie hatte kein gutes Gefühl, als sie den Bindfaden löste, und tatsächlich erwies sich der Inhalt als wenig tröstlich. Private Gegenstände, die George an seiner Arbeitsstätte in der Klinik aufbewahrt hatte, lagen darin, nichts Wertvolles, und doch Dinge, die nicht in fremde Hände fallen sollten: mehrere Photographien von ihr und Elisabeth, ein Vergrößerungsglas, ein Becher aus bemaltem Steingut, verschiedene medizinische Fachbücher, ein Notizbuch, in dem er Details zu bestimmten Krankheitsfällen und andere Dinge, die ihm bemerkenswert erschienen, festgehalten hatte. Dr. Kalil hatte sie bereits mehrfach gebeten, die Sachen in der Klinik abzuholen, doch sie hatte seine Nachrichten ignoriert. Nun also zwang man sie auf diese wenig rücksichtsvolle Weise, Georges » Nachlass « in Empfang zu nehmen.
Ärgerlich schloss sie den Deckel des Kartons und wollte ihn soeben unter den Schreibtisch stellen, da vernahm sie Elisabeths helle Stimme im Garten.
» Mama? Mama, bist du da? «
» Ich bin hier, Elisabeth. In Georges Arbeitszimmer. «
Es tat wohl, dass jetzt Leben ins Haus einkehrte– Elisabeths Geschrei hatte auch die schwarzen Dienstboten aufgeschreckt. Jim lief im Eilschritt durch den Garten, um die Limonade zu servieren, Mimis füllige Gestalt verschwand in der Küche, auch der schwarze Koch, ein kleinwüchsiger, magerer Kikuju, hastete an seinen Arbeitsplatz.
» Essen gleich fertig, bibi Johanssen. Gut essen von lecker Banane und Hühnchen, mit Soße von Erdnuss… «
Elisabeth schob die Tür zum Arbeitszimmer auf und streckte den Kopf durch den Spalt.
» Ist er weg? « , fragte sie misstrauisch.
Gerade hatte sich Charlotte noch über die Ankunft ihrer Tochter gefreut, jetzt ärgerte sie sich schon wieder. Elisabeth mochte manches, was Jeremy betraf, recht gut und richtig beurteilt haben, trotzdem konnte sie höflich bleiben.
» Wenn du Jeremy Brooks meinst « , gab sie betont kühl zur Antwort, » er ist vorhin mit dem Küstendampfer nach Tanga gefahren. Begleitet von Johannes Kigobo und Jonas Sabuni. «
Elisabeth nahm die Neuigkeit mit großer Befriedigung zur Kenntnis und schlüpfte zu ihrer Mutter ins Zimmer. Ihre Finger waren tintenverschmiert– das Mädchen würde wohl niemals lernen, vernünftig mit dem Federhalter umzugehen.
» Wie schade, dass die beiden Waschamba mit ihm gefahren sind. Ich mag sie gern, besonders Johannes Kigobo, der ist so ein lustiger Bursche… «
Elisabeth schwatzte unverdrossen weiter, erzählte von der Schule, von den langweiligen Lehrern, die nichts, aber auch gar nichts wüssten. Von ihrer Freundin Florence Summerhill, die möglicherweise bald mit ihren Eltern nach England reisen würde, wo sie ein Internat besuchen sollte.
» Wenn Florence nicht mehr hier ist, will ich auch nicht mehr auf diese blöde Schule gehen. George soll mich unterrichten. Und dann soll er mit mir nach Deutschland fahren und mich dort in eine richtige Schule bringen, auf ein Gymnasium… Du kannst auch mitkommen, Mama. «
» Danke, das ist sehr lieb von dir. Ich dachte schon, du brauchst mich überhaupt nicht mehr… «
Erschrocken starrte das Mädchen Charlotte an, dann stürmte es zur Mutter und schlang ihr beide Arme um den Nacken. Es war nicht mehr so einfach wie früher, auf deren Schoß zu steigen und sich dort zusammenzukauern, aber sie versuchte es.
» So habe ich das doch nicht gemeint, Mama. Du weißt doch, dass ich mich nie, nie, nie von dir trennen will. Ich gehe nur auf ein Gymnasium, wenn du gleich nebenan wohnst. Und George auch… «
» Gleich fallen wir beide noch von diesem Stuhl « , scherzte Charlotte mit Tränen in den Augen.
» Nein, gewiss nicht « , widersprach Elisabeth energisch und rückte sich zurecht. Der Stuhl knackte, Mutter und Tochter saßen still und hielten einander fest. Schweigen trat ein, Charlotte spürte Elisabeths heiße Wange an ihrem Hals, atmete den
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