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Sanfter Mond über Usambara

Sanfter Mond über Usambara

Titel: Sanfter Mond über Usambara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Bach
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eislaufen können, erzählte sie ihrer Tochter, und wer keine » Schöfels « , wie sie die Schlittschuhe nannten, besaß, der ging mit den anderen » bosseln « – ein typisches emsländisches Kugelspiel, das gerne auf gefrorenen Landstraßen gespielt wurde.
    » Du wirst sehen, der Winter in Deutschland ist herrlich! « , rief sie voller Begeisterung aus.
    Am Abend sprühte sie vor Ideen, machte George Vorschläge für neue Bücher, fügte seinen Manuskripten kleine Absätze hinzu, lachte über seine strenge Miene und stahl ihm die goldgeränderte Brille, um sie sich selbst auf die Nase zu setzen.
    » Geh zu Bett, Kobold « , schalt er sie lächelnd. » Ich komme nach, sobald ich meine Blätter wieder sortiert habe. «
    Als er später ins Schlafzimmer trat, lag sie schweißüberströmt und stöhnend vor Schmerz in den Kissen. Die Wehen überkamen sie in dichter Folge, pressten langsam und unerbittlich das Kind aus ihr heraus und störten sich nicht daran, dass sie verzweifelt darum kämpfte, das ungeborene Leben in ihrem Körper zu behalten.
    Sie kam nur langsam wieder auf die Beine. Das Kind war groß gewesen, schon im fünften Monat, doch als es auf die Welt kam, war es bereits tot. George hatte sie zuerst in eine Klinik bringen wollen, es dann aber doch nicht getan, weil sie sich trotz aller Schmerzen eigensinnig dagegen sperrte. Er zeigte ihr das tote Kind nicht, sagte ihr nur, es sei ein Junge gewesen, und er habe schwarzes Haar gehabt.
    Sie weinte nicht. Tagelang lag sie teilnahmslos in den Kissen und starrte zu der goldenen Lampe mit den grünen Schirmchen hinauf, sah den spinnenförmigen Schatten des Lüsters mit dem Tageslicht über die Zimmerdecke wandern und spürte nichts als dumpfe, trostlose Gleichgültigkeit. Selbst George, der seine Manuskripte vernachlässigte und stundenlang an ihrem Bettrand saß, um sie daran zu erinnern, dass ihnen zumindest ihre Liebe geblieben war, dass sie eine gesunde Tochter hatte– selbst George konnte die erdrückende Last der Trauer nicht von ihr nehmen. Nur wenn Elisabeth zu ihr hereinschaute, riss sie sich zusammen und sprach ein paar Worte, machte sogar den Versuch zu scherzen, was jedoch kläglich misslang.
    » Mama, du bist ganz dünn geworden «, stellte Elisabeth fest und schüttelte den Kopf, als habe sie es mit einem störrischen Kind zu tun. » George hat gesagt, du musst essen, sonst pustet dich der Wind davon. «
    Wie eine Schlafwandlerin ging Charlotte später an Georges Arm zum Friedhof, wo man den toten Sohn begraben hatte, starrte auf das kleine Holzkreuz und entzifferte seinen Namen.
    Henrich Johanssen. Geboren am 27. November 1906 in Emden, gestorben am selbigen Tag.
    Die grünen Kränze auf dem Kindergrab waren noch frisch, die Schleifen vom Regen durchnässt und vom Nordwestwind gebeutelt, so dass Charlotte die Aufschriften kaum entziffern konnte. Sie legte einen Strauß aus Tannenreisern und Lorbeer auf den kleinen Hügel, und erst jetzt löste sich ihre Erstarrung. Weinend lehnte sie sich an George, lag schluchzend an seiner Schulter und fühlte, wie seine Hände unablässig über ihren Rücken strichen.
    » Na endlich « , flüsterte er. » Wein dich aus, mein Schatz. Es wird dir danach besser gehen. «
    Er sollte nur teilweise recht behalten. Tatsächlich nahm sie nun ihren gewohnten Tagesablauf wieder auf, nahm an den Mahlzeiten teil, kümmerte sich um den Haushalt und überwachte sorgfältig Elisabeths Hausaufgaben. Die kleine Tochter hatte sich inzwischen glänzend in Emden eingelebt, alle Feindseligkeiten in der Schule waren ausgeräumt, sie besuchte am Nachmittag ihre Freundinnen, erhielt Gegenbesuche und wurde zu Geburtstagen eingeladen. Eis und Schnee, von denen die Mama erzählt hatte, ließen einstweilen noch auf sich warten, der Dezember war kalt und regnerisch, nur am frühen Morgen sah man glitzernde Kristalle auf Dächern und Zäunen, an Schlittschuhlaufen war jedoch nicht zu denken.
    Charlotte, die noch vor Wochen so begeistert vom deutschen Winter gesprochen hatte, empfand die Zeit jetzt als düster und freudlos. Wie hatte sie vergessen können, dass die Tage so kurz waren? Kaum hatten sich die Morgennebel aufgelöst, da sank das Licht schon wieder in den Abend. Schwer drückte der Himmel auf die Stadt, und außer Grau und Schwarz schien es keine Farben zu geben.
    George war nach wie vor fürsorglich, doch er zog sich mehr und mehr an seinen Schreibtisch zurück und versenkte sich in seine Manuskripte. Wenn sie am Abend zu ihm

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