Sanfter Mond über Usambara
Afrika, ein grünendes Paradies, selbst die Nebel waren dort licht und voller Zartheit, und erst die Menschen…
» Mama, Mama! Wir müssen ganz schnell zu Mittag essen, weil ich doch auf Julchens Geburtstag eingeladen bin! «
Elisabeth war noch im Mantel, vom Wind zerzaust, die Wangen vor Aufregung rosig. Ungeduldig umarmte sie ihre Mutter, riss sich gleich wieder los und fragte, ob das Geschenk für die Freundin schon verpackt sei. Ob sie das neue Kleid mit den Rüschen am Kragen anziehen und das Haar offen tragen dürfe. Weshalb Stine ihr nicht das Haar mit der Brennschere kräusele, das sähe doch hübscher aus.
» Du hast Naturlocken, Elisabeth. Die muss man nicht noch kräuseln. «
» Aber die stehen immer in alle Richtungen… «
» Oh, die junge Dame möchte das Haar gekräuselt haben– da nehme ich doch höchstpersönlich die Brennschere zur Hand « , witzelte George, den Elisabeths helle Stimme aus seinem Arbeitszimmer gelockt hatte.
» Du? « , rief sie entsetzt. » Nee– besser nicht. «
» Aber ich würde es gern einmal versuchen « , neckte er sie grinsend.
» Aber nicht bei mir. Versuch es bei Mama. «
Er zwinkerte Charlotte zu, die sich zu einem Lächeln zwang.
» Ich fürchte « , seufzte er, » bei deiner Mama werde ich auch kein Glück haben. «
Später stand Charlotte am Fenster, um ihrer Tochter nachzuwinken, die an der Hand des Hausmädchens die Osterstraße hinunterging. Der Wind riss mächtig an Stines großem Schirm, mit dem sie vor allem das hübsch eingewickelte Geschenk vor Nässe schützen sollte. Elisabeth trug einen dunkelblauen Regenmantel über der wattierten Jacke, dazu einen breitkrempigen Hut aus gewachstem Stoff, der unter dem Kinn festgebunden werden konnte. Das offene, lange Haar steckte unter dem Mantel, damit Regen und Wind die Lockenpracht nicht verdarben. Die Kleine zerrte Stine ungeduldig voran, sprang über Pfützen, dass das Wasser hoch aufspritzte, und schien sich um Stines Schelte wenig zu kümmern.
» Wie rasch sie sich eingelebt hat « , meinte George, der hinter Charlotte stand und ihr über die Schulter sah.
» Ja… «
Sie zog den Fenstervorhang wieder zurecht und wies mit der Hand hinüber zum Klavier, wo sie ihre Post abgelegt hatte.
» Klara hat geschrieben. «
» Geht es ihr gut? «
» Lies selbst. Peter wird als Missionar im Usambara-Gebirge arbeiten. «
» Ach ja? Nun, dann ist er wohl genesen. Wie schön. «
» Ja, ich freue mich sehr darüber. «
Sie lächelte und spürte, wie unaufrichtig ihr Tonfall klang. George schien es nicht zu bemerken.
Was für ein Spiel spielten sie da? Charlotte schien es, als ginge sie über einen zugefrorenen See, hörte das leise Knacken, sähe feine Risse, die sich spinnenartig über die milchige Fläche ausbreiteten. Dennoch ging sie weiter. Und auch George bewegte sich über die dünne Schicht, gewandt, mit federleichten Schritten, die Risse meidend, bei jedem Knacken vorsichtig die Richtung ändernd. Nur nicht einbrechen, denn was dort unter dem Eis gurgelte und brauste, waren Strudel, die sie beide für immer auseinanderreißen konnten.
Nachdenklich betrachtete sie ihren Mann, der im Sessel Platz genommen hatte und Klaras Brief überflog. Er hatte die Beine angezogen und den Oberkörper vorgeneigt, als wolle er jeden Augenblick aufspringen, um davonzulaufen. Erst als er zu Ende gelesen hatte, löste er die angespannte Körperhaltung und lehnte den Rücken gegen die Polster. Ohne Kommentar legte er den Brief auf den Wohnzimmertisch. Kein Wort über das Biologisch-Landwirtschaftliche Forschungsinstitut Amani im Usambara-Gebirge, das er einst unbedingt hatte besuchen wollen, kein Wort über von Rechenberg, den neuen Gouverneur, und erst recht kein Wort über die angeblich veränderte Lage in Deutsch-Ost. Es war, als herrsche zwischen ihnen die stumme Übereinkunft, über diese Dinge zu schweigen.
» Es könnte sein, dass wir besseres Wetter bekommen « , sagte George in gewollt unbefangenem Ton. » Wir sollten einen Wagen mieten und ein wenig durch die Gegend fahren. Die klare Winterluft wird dir guttun. «
» Ja, das wäre schön… «
Er meinte es gut mit ihr, das wusste sie. Gewiss war sie ungerecht, wenn sie das Gefühl hatte, Emden sei grau und trübe. An schönen Tagen konnte der Himmel taubenblau sein, zarte weiße Wölkchen schwebten wie Flaumfedern darüber hinweg, und die bunt gestrichenen Fischkutter spiegelten sich im Hafenwasser. Die Stadt war voller Leben und liebenswerter Menschen,
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