Sanfter Mond über Usambara
kam, lächelte er zerstreut, und nicht immer konnte er mit neuen Texten aufwarten. Er überarbeitete, korrigierte und schickte hin und wieder auch Artikel an Zeitschriften, ohne sie ihr vorher gezeigt zu haben.
» Du weißt ja sowieso, was darin steht « , sagte er entschuldigend, wenn sie das entsprechende Blatt auf seinem Schreibtisch entdeckte. » Es ist das Gleiche wie neulich, nur ein wenig angepasst und aktualisiert. «
Sie zeigte ihm nicht, wie verletzt sie war. Schließlich wollte sie sich nicht aufdrängen, zumal stets er es gewesen war, der sie gebeten hatte, seine Texte zu lesen. Auch nach dem Inhalt der vielen Briefe, die er erhielt, fragte sie nicht. Sie war nicht Marie, die heimlich die Post ihres Mannes durchsah, sie vertraute ihm und wusste, dass er ihr wichtige Dinge nicht verschweigen würde. Aber insgeheim bekümmerte es sie, dass er sie nicht an allem teilhaben ließ, was ihn beschäftigte.
Die Post, sie sie selbst erhielt, war nicht angetan, ihre Stimmung zu heben. Mit dreiwöchiger Verspätung flatterte eine Geburtsanzeige ins Haus, die man aus Rücksicht auf ihren » Missfall « hinausgezögert hatte: Antje war von einem gesunden Knaben entbunden worden, der den Namen Paul Johann Budde erhalten hatte. Natürlich gönnte sie Antje ihr Mutterglück, dennoch traf es sie schmerzlich, dass der kleine Paul Johann in derselben Nacht gesund und kräftig das Licht der Welt erblickte, in der ihr eigener Sohn hatte sterben müssen.
Auch von Klara gab es Nachrichten. Peter Siegel wollte in der lutherischen Missionsstation Hohenfriedeberg seine Arbeit wieder aufnehmen, was Grund zu neuen Hoffnungen gab. Klara würde nun also mit Mann und Kind ins Usambara-Gebirge ziehen, wo sich inzwischen recht viele Deutsche niedergelassen hatten. Charlotte selbst war nur bis Mazinde am Fuß des Gebirges gekommen, doch sie hatte Berichte über die fruchtbaren Böden und das gesunde Klima vernommen. Vor allem die Naturschönheiten der Landschaft wurden gepriesen, ein » afrikanischer Harz « sei diese Gegend, voller klarer Gebirgsbäche, steiler Felsen und romantischer Wasserfälle. Klara schrieb auch voller Freude über den » neuen Geist « , der die Kolonie durchwehe und der mit den Lehren der christlichen Kirchen so vortrefflich einhergehe, dass man in der Mission am Immanuelskap nun freudig und voller Zuversicht in die Zukunft blicke. Der neue Gouverneur von Rechenberg wolle Ostafrika zu einem Land für » Kaufleute, Händler und eingeborene Kulturen « machen. Die Inder, die in Daressalam häufig angefeindet und verdrängt worden waren, sollten sich nun wieder frei ansiedeln können, vor allem aber war es den weißen Siedlern verboten, Kulturland zu erwerben, das vorher einem Schwarzen gehört hatte. Der Herr von Rechenberg wolle dafür sorgen, dass auch die Schwarzen Plantagen anlegen und ihre Früchte verkaufen konnten.
Nun werden unsere schwarzen Brüder aus ihrer Armut erlöst und können die Güte des Herrn erkennen, von dem wir ihnen ohne Unterlass erzählen. Und wir können ihnen wahre Lehrer und Vorbilder sein, so wie wir es uns immer gewünscht haben. Ach, liebe Charlotte, ich blicke jetzt recht froh in die Zukunft, und der einzige Wermutstropfen in diesem Freudenkelch ist, dass Ihr nicht bei uns sein könnt. Aber ich weiß ganz sicher, dass Gott der Herr meine Gebete erhören wird und uns eines Tages wieder vereint. Bis dahin sei allerherzlichst gegrüßt und geküsst.
Deine Dich liebende Klara
Bitterkeit kam in Charlotte auf, als sie diese Zeilen las. Ein neuer Geist wehte also durch Deutsch-Ostafrika. Wie schön. Aber wer wusste schon, ob das auch der Wahrheit entsprach? Die gute Klara war sehr leichtgläubig, und die Berichte über das Sterben der Eingeborenen im Süden des Landes waren noch längst nicht verstummt.
Dennoch blieb sie sinnend am Fenster stehen, und statt der kahlen Zweige und dick vermummten Passanten sah sie grünende Berghänge, von Blüten und üppigem Blattwerk überwuchert, den taumelnden Flug der bunten Schmetterlinge, den glitzernden Wasserfall, in dessen Dunst sich das Licht vielfarbig brach. Usambara– wie melodisch dieses Wort klang, wie viele Farben und Düfte es in sich trug. Usambara. Wie konnte man dieses Land mit einem deutschen Gebirge vergleichen, schon der Name » Harz « klang abgehackt und dürr. Wie schön auch immer dieser Harz sein mochte, den sie nie gesehen hatte– Usambaras Hänge waren wilder, die Pflanzen üppiger, der Himmel weiter. Usambara war
Weitere Kostenlose Bücher